Januskopf "Sicherheit"
Das Thema phänomenologisch beschrieben:
Wissenschaft entwickelt sich nach eigenen Gesetzen. Politik hat nur beschränkten Einfluss, auch wenn sie mit Geld steuern. So erging es Prof. Wassermann nachdem sein Gutachten zum Einsatz von CS-Gas bei der Polizei keinen Persilschein darstellte. Er klagte öfters, dass er ab da kaum noch Forschungsgelder bewilligt bekommen hat.
Die Rechtsentwicklung mittels Urteilen hat einen anderen Einfluss: es regelt, ob und in wie weit neue Erkenntnisse auch die Rechtsstellung von Gruppen (im Verwaltungsrecht) oder Versicherten (Sozialrecht) verändern. Entscheidungsgröße ist der „allgemein anerkannte Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis“. Man nennt in kurz „Stand der Wissenschaft“. Er ist aber stets weit hinter dem Stand des wissenschaftlichen Diskurses zurück. Gutachter, die diese Differenz missachten, haben schon verloren.
Der Einfluss der Wissenschaft hängt auch vom Rückgrat ab. Wer auf einen Automatismus durch den wissenschaftlichen Fortschritt hofft, wird feststellen, dass der Stand der Wissenschaft Jahrzehnte festgefroren werden kann und jeder Fortschritt gleich mit.
Wir wissen seit den 80er Jahren über chronische Vergiftungen Bescheid. Seit den Einerjahren wissen wir sogar über die Pathomechanismen Bescheid. Doch ganz im Gegenteil ist die Rechtssituation der Opfer rasant schlechter geworden.
Das ist die Quittung, wenn man sich duckt. Die SHG‘ s haben auf wissenschaftlichen Fortschritt gehofft und ihre Rechte nicht eingefordert, indem sie den Stand der Wissenschaft der 80er als Rechtsgrundlage eingeklagt hätten. Nur immer die Moralpauke.
Die Umweltmediziner haben die 80er verschlafen, Forschungsbedarf reklamiert und u. a. mitgeholfen, späteren Fortschritt zu entwerten: Erhöhung der NO-Konzentration wurde zum nitrosativen Stress umbenannt, statt CFS-Schweregrade zuzuordnen. Der wissenschaftliche Gehalt – Nachweis von CFS und dessen Quantifizierbarkeit - wurde durch die neue Diagnosebezeichnung weggewischt.
Beides konnte durch Einschüchterung – die Psychokeule für die SHG’ s und das Duo voreilig/unseriös für die Ärzte - und durch eine effektive Desinformationstechnik, die letztlich den stets den Wissenschaftsstatus quo ante notorisch wiederherstellt gewährleistet.
Dazu werden Fallen aufgestellt:
- Die Differenz zwischen dem aktuellen Stand des wissenschaftlichen Diskurses und dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis (s. o.)
- Konsensfalle: wir müssen forschen (stimmt immer und ist deshalb sinnlos) lenkt den Blick in die falsche Richtung.
- Ignorieren des Zeitfaktors bei der Dosisbestimmung (Habersche Regel)
- Vernichtung der Epidemiologie durch Unterordnung unter die Grenzwerte – d. h. Vernichtung der Beweise durch die ‚‘
Dies ist der Angriff auf die Wissenschaft, der 100%ig funktioniert hat, da er auch die Opfer und die Kritiker eingebunden hat. Hauptinstallation sind die Autoritäten, die die Argumente ersetzen.
In den 80ern haben die Bürgerinitiativen alles anhand wissenschaftlicher Publikationen hinterfragt und so dafür gesorgt, dass es keine Plutoniumwirtschaft gibt und Recycling statt Verbrennung. Da spielte es keine Rolle, wer was geschrieben hat, sondern nur was mit welcher Begründung und welchem wissenschaftlichen Fundament in der Literatur zu finden war.
Das gibt es heute nicht mehr: heute wird ein völliger Ignorant zum Experten aufgeblasen (letztes Beispiel: Köhler und die Immissionsgrenzwerte) mit Schlagzeilen und Omnipräsenz. Es ist gelungen, komplett von Wissenschaft, die jeder nachlesen kann, abzulenken.
Die Mechanismen werden in der Folge dargestellt, beginnend mit der Zweischneidigkeit des Sicherheitsbegriffs.
Toxikologie und Sicherheit
Sicherheit ist etwas, dass alle wollen, wissenschaftlich nicht definierbar. Kein Ingenieur wird eine Brücke genau so schwach bauen, wie die statischen Berechnungen sie als möglich erscheinen lassen. Also gibt es eine willkürliche Sicherheitsmarge. In der Sicherheitsanalyse muss immer die sichere Seite gewählt werden. Wenn das öfter geschieht und sich die Zahlen aufmultiplizieren passiert es dann, dass das Ergebnis nicht akzeptiert wird – willkürlich (zu teuer).
Sie ist auch kein Rechtsbegriff. Dazu muss man sich mit „Gefahrenabwehr, Vorsorge und Restrisiko“ auseinandersetzen (s. u.). Die Grenzen dazwischen sind einfach durch steigende Dosis definiert. Wird diese durch Konzentration repräsentiert (heute ist der Zeitfaktor vollständig eliminiert), wird die chronische Wirkdosis nie der Gefahrenabwehr zugeordnet, da ja die alten Akut-Schwellen noch existieren, werden diese der Gefahrenabwehr zugordnet. Diese Konstruktion ist gleichbedeutend mit einer Brücke, die bei Eröffnung bereits einsturzgefährdet ist, was sie auch tut: Insekten und Vögeln sterben aus, der Mensch ist krank: Stand 2012: 38% (Robert-Koch-Institut 2014), seit den 90er Jahren kommt das Absinken des IQ hinzu (Dutton et al 2016, Pietschnig 2019. Ersteres wurde 1962 schon vorhergesagt (Carson 1962), Zweiteres als Psycho abgetan (Ursprünglich Erlanger Fake: (Kraus 1995)). In den letzten Jahren werden mit schöner Regelmäßigkeit in der Presse Studien präsentiert, die Anstiege bei Krankheiten angeblich „herausgefunden“ haben. Über die Ursachen wird geschwiegen oder es wird Stress vage in den Raum gestellt. Das ist immer richtig; Gifte bewirken Stress nur daran denkt bei dem Wort keiner. Die IQ-Debatte ist noch grotesker: soweit es um schulische Leistungen geht, wird nur über Pädagogik gesprochen (Beispiel: Winterhoff 2019), auch „Migrationseinflüsse“, Spezialisierung der Arbeitswelt oder ‚Fortschritt macht faul‘ – da sind alle Klischees versammelt. Keines kann den Zeitpunkt – 90er Jahre erklären. Nur die These ‚eurotoxische Stoffe‘ passt genau.
Sicherheit hat einen Januskopf, denn je höher die Dosis, desto sicherer kann man sie erkennen. Gesichertes Wissen führt in den Bereich der Gefahr. Das ist die Akuttoxikologie: zeitnah, hohe Dosis, starke Wirkung – wird als gesicherte Erkenntnis geglaubt. Unsere heutige Realität wird angezweifelt.
Die Sicherheit einer Aussage zur Kausalität einer Giftwirkung, verhält sich reziprok zur Sicherheit im Sinne eines Schutzes vor der Giftwirkung.
Unser Recht verlangt den Vollbeweis vom Geschädigten und garantiert so das Ansteigen der Prävalenz toxischer Invaliden. Verfassung und Gesetz garantieren den Schutz des Lebens, insbesondere die körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2). Dieser Schutz wird unterlaufen.
„Sind Sie 100% sicher?“ muss jeder Naturwissenschaftler verneinen, da es 100% in der Naturwissenschaft nicht gibt. Rechtlich darf es aber keine Unsicherheit geben. So unterläuft schon die unterschiedliche Sprache den Gesundheitsschutz. „Waren die Kinder krank?“ war eine Frage eines Richters zu den Laborwerten von Kindern in einem Holzschutzmittelbehandelten Kindergarten. Das ehrliche Nein hat die Sache gekippt. Der Gutachter hätte sagen müssen, dass sie nicht (mehr) gesund waren.
Zeitnahe Wirkreaktion aller Exponierten führt zu einer 100%ig sicheren Aussage und zur Vergiftung aller. Will man nun generell vor einer Wirkung schützen, muss die Erkenntnis aus diversen Versuchen und Modellen unter die Nulllinie extrapoliert werden. Das führt nur bei linearen Funktionen zu einem sicheren Ergebnis. Die Funktionen der Expositionsbeschreibung sind aber exponentiell-asymptotisch.
„Das geht dann im Rauschen unter“, erklärte mir ein Inhalationstoxikologe einer Chemiefirma. Ich hatte ihn darauf hingewiesen, dass seine Extrapolation der tierexperimentellen Wirkschwelle die Nulllinie erst bei erheblich geringerer Konzentration erreiche. Hier hätte seine Aufgabe beginnen müssen. Stattdessen ging er dann von der sicher erkennbaren Noch-Wirkung aus, die er meinte bagatellisieren zu können: aus einer geringen Reaktion nach viertelstündigem Test wurde „lebenslang sicher“. (Auseinandersetzung wurde geführt: Merz 2000, 2000b, 2001a) – Fehlbewertung: Faktor ##. Dieses „Rauschen“ vernichtet Insekten und Vögel und macht den Menschen krank.
Bei einem solchen Vorgehen ist die gewollte Aushebelung des Gesundheitsschutzes noch deutlich: es wird nicht untersucht, was man nicht wissen will. Heute heißt es lapidar, die Pyrethroide seien nicht gesundheitsschädlich. Von Oberflächlichkeit wird schrittweise zur kompletten Unwahrheit gerauscht. Das wird gerichtlich gestützt: es gäbe keine seriöse wissenschaftliche Belege dafür, dass von Pyrethroiden Schäden beim Menschen auftreten könnten, so ein Urteil des OLG Frankfurt (OLG Ffm 2003). Das hat alles: „Keine seriösen Belege“ verarbeitet die gesamte relevante Literatur zu Müll. In diesem Fall kann man das Unterlaufen Schritt für Schritt nachvollziehen. Denn, was im Akut-Rauschen untergegangen ist, ist noch vorhanden, ohne dass die Bedingungen wie etwa der Zeitrahmen bekannt sind, unter denen eine Wirkung letztlich – etwa durch Akkumulation (Inhalation hat lange Halbwertszeiten), also langfristig – doch chronifiziert. Mit jenem Schritt in die falsche Denkrichtung wird der Gesundheitsschutz ausgehebelt.
Das Rauschen-Argument ist die ganz grobe Art der Erkenntnisvernichtung durch Abbruch der Untersuchung unterhalb der Akutdosis. Um dies als rechtlich-objektiv zu etablieren, wird es zur „gesicherten Erkenntnis“. D. h. aber konkret, das viele krank werden. Toxikologie ist immer – auch – Statistik (vgl. II). Je kleiner die Dosis, desto weniger Krankheitsfälle, aber das ist eine lange Rechnung.
Bei der Brücke wird man wohl fordern, dass sie auch überfüllt hält, auch wenn darauf getanzt wird. Bei der Dosis stellt sich letztlich die Frage, wieviel Fälle kann man verantworten bzw. welcher Schweregrad ist akzeptabel. „Zeitnah“ sind immer Chemieunfälle; das ist selten, so entsteht ein falsches Bild. Die Exposition aus Verkehr, Innraumbelastung und Lebensmittelkontamination ist ubiquitär jederzeit und chaotisch variabel.
Das Verlangen eines sicheren Nachweises einer Gefährdung durch jeweils eine Komponente führt nie zu einer sicheren Erkenntnis einer Gefährdung und insgesamt zu einem hohen Krankenstand. Hier wird seit Jahrzehnten ein falscher Sicherheitsbegriff in den Vordergrund gerückt. Diese Erkenntnis ist wissenschaftlich auf höchster Ebene anerkannt und zwar durch den SRU im generellen Umweltgutachten 1987. Das wird aber wird willkürlich ausgeblendet.
Unsere Sicherheit in Sachen Gesundheit wird im Allgemeinen nach Winkekatzemanier abgetan – ach das bisschen kann doch nichts …
Die Wirkung im Einzelfall ist verheerend und zwar wegen des Verlaufs. Leichte Infekte werden von allein wieder. Leichte Vergiftungen nicht. Sie können sich sogar progredient entwickeln. Bei Vergiftungen wird der Anfang nicht ernst genommen und dann ist es zu spät.
Diese falsche Sicherheit reicht in alle Bereiche. Sachbearbeiter, Hausarzt, Gutachter, manchmal der eigene Anwalt, Gerichte durch alle Instanzen, schlechte Presse - das ist ein Zermürbungsprozess. Alle respektieren die Denkverbote bzgl. Zeitfaktor, strenge Einzelstofftoxikologie; alle glauben die Wirkungen zu trennen sei akribische Analyse statt Zerstörung der Zusammenhänge. Seitenweise wird jeder Stein gewogen und zu leicht befunden. Dass die Brücke gebrochen ist war reine Hysterie. Damit werden recherchierende Journalisten, Politiker, Juristen ja mittlerweile auch die Betroffenen selbst „überzeugt“.
Für die „Überzeugungsmethode“ gibt es kein deutsches kein Wort. Sie ist schlimmer als Lüge. Propaganda kommt dem am nächsten. Im Englischen wurde der passende Begriff auch erst unlängst philologisch-philosophisch analysiert (Frankfurt 2006), nämlich Bullshit. Es ist gezielte Wissensvernichtung.
Unser Sicherheitsdenken ist einseitig, dass jedem Unfug den Vortritt lässt, wenn es nur einen Schatten von nicht ganz sicher haben könnte, ohne dass dabei erkennt wird, dass damit ganz sicher gestellt wird, dass wir an Körper und Geist erkranken. Beides ist wissenschaftlich gesichert und die Kausalität wird vehement in Abrede gestellt; kein Klischee ist zu dünn um unsere biologische Abwärtsspirale als rätselhaft hinzustellen und damit aus der Realität zu entfernen. Dafür gibt es eine Methode, die bisher nicht zur Diskussion steht.