Experten und Rechtsstaat
Transformationen
Für die Vernichtung von Wissen bedarf es bestimmter Bedingungen. Früher hieß so etwas Tabu oder „nicht gottgefällig“. Das heutige Pendant ist „unwissenschaftlich“. Aber, wenn dieser Vorwurf hin- und hergeht, läuft es sich tot. Oft genügt das schon: auf der Ebene des Strafrechts, wird dann aus einer Straftat ein Gutachterstreit oder auf der Ebene der Berichterstattung ist Gutachterstreit keine Nachricht. Die Kunst ist, die Behauptung einer offenen Frage so zu lancieren, dass Aktivitäten unterbleiben, die der Sache auf den Grund gehen. Ist die Krankheit definiert oder erst noch zu erforschen oder gar völlig rätselhaft.
Es geht also auch um eine Pflicht, eine Sorgfaltspflicht. Da reicht die Moral nicht. Da geht es um das Funktionieren des Rechtsstaates du deshalb auch um den aktuellen Zustand desselben.
Es gibt einen Kreislauf der Verfassungen bzw. der Verfassungswirklichkeit. In der Demokratie entwickelt sich eine Oligarchie und wenn es die Oligarchen zu bunt treiben, wird der Ruf nach einem starken Mann laut. Dieser regelt dann in einer Tyrannis das Zusammenleben. Wenn er oder sein Nachfolger nichts taugen, wird er gestürzt und eine Demokratie errichtet. Diesen Kreislauf kannten schon die Griechen der Antike. Für die USA haben einige Autoren schon im letzten Jahrzehnt von Oligarchie gesprochen (Denten & Morris 2005).
Was die Demokratie aushöhlt, ist, wenn Lobbyismus zum Expertenurteil wird. Dann wird das Gesetz unterlaufen. Das gelingt, wenn es in der Öffentlichkeit nicht thematisiert wird. Und das unterbleibt, wenn alle die gleichen Experten fragen. So unterdrücken die immer gleichen Talkshows die wichtigen Zukunftsentscheidungen.
Vom Rechtsstaat zum Expertenstaat
Die Forderung nach öffentlicher Kontrolle ist essentiell für den Rechtsstaat zur Abwehr von Willkür durch private Interessen. Die Aufklärer des 18. Jahrhunderts haben sich viel mit Recht befasst [1]. Das Meisterstück ist die Gewaltenteilung als stabile Schranke gegen Willkür.
Expertenabsolutismus |
Willkür wird möglich, wenn die Gewaltenteilung wieder aufgehoben wird, und zwar in der Hand der Experten.
Diese „Experten“ sind nur wenige Personen. Jeder kennt sie. Wenn die Exekutive, die Legislative oder die Gerichte einen Sachverständigen brauchen, werden immer die Gleichen gefragt. Die Posten in den relevanten Kommissionen und auf dafür sensiblen Lehrstühlen werden handverlesen vergeben. Jeder sorgt für seinen Nachfolger unter Mithilfe der anderen. Das ist keine Verschwörung, das ist ganz normale oligarchische Gesellschaftsentwicklung. Dies ist bisher kein Thema gewesen. Bürgerinitiativen, NGO‘ s und dergl. befassen sich damit nicht, sehr zu ihrem Nachteil.
Der Rechtsstatt ist kein Automat, der Gerechtigkeit garantiert, sondern ein Regelwerk, bei dessen Entstehen und dessen Konstruktion die Idee der Gerechtigkeit Pate gestanden hat. Ob aber Gerechtigkeit zu- oder abnimmt, hängt davon ab, wer aktiver ist. Dass das gelingen kann, zeigen Tatsachen wie die Nichtexistenz einer Plutoniumfabrik in Wackersdorf und das Kreislaufwirtschaftsgesetz in Tateinheit mit der Beendigung des Ausbaus der Müllverbrennung. In beiden Fällen gab es professionelles Teamwork von Sachverständigen, Anwälten und Umweltaktivisten. Planfeststellungen wurden zu einer Art Bühne für die Demokratisierung der Verwaltung. Da gab es für jeden Versuch Rederecht zu beschneiden einen Befangenheitsantrag. Sozialkundelehrer haben ihre Klassen zu den Verhandlungen gebracht als Anschauungsunterricht. Das wurde Ende der 80er Jahre beendet. Es gab keine Gegenwehr der Bürgerinitiativen.
Der Rechtsstaat bietet die Möglichkeiten der Veränderung. Man braucht Sachkenntnis, Akribie und vor allem Teamwork. Es wird nie das erreicht, was man sich anfangs vorgestellt hat, Hauptsache die Richtung stimmt. Wir haben etwa alle Prozesse gegen bereits erteilte Genehmigungen von Müllverbrennungsanlagen verloren, aber irgendwann gab es keine neuen Genehmigungsanträge mehr, denn Preis (Entsorgungspreis) und Risiko (Emissionsgrenzwerte) waren zu hoch geworden.
In Sachen Energieverbrauch und Kreislaufwirtschaft sind wir immer noch am Anfang. Alles Brennbare aus den Recyclinghöfen landet in der Müllverbrennung und wohl auch alle Einwegpfandflaschen. Wir sind immer noch die Ex-und Hopp-Gesellschaft. In Sachen Energie gibt es wohl einige Teilerfolge wie Wärmeschutzverordnung und Verbesserungen bei der solaren Stromeinspeisung (Wind und Sonne) – leider schon wieder gedeckelt. Kürzlich (2019) wurde gar eine Kampagne gegen den Wärmeschutz losgetreten: … „Dämmwahn“ … etc. Wieder gibt es plötzlich Experten, die abraten. Nur die Heizungslobby bekommt per Abwrackprämie eine Förderung, obwohl kaum wirkungsvoll.
Demgegenüber ist der Schutz des Einzelnen völlig auf der Strecke geblieben. Die Toxikologie, die zur Bewertung angesetzt wird, ist Akut- und nicht chronische Toxikologie, die Toxikologie der 60er Jahre, die Toxikologie der Arbeitsmedizin. Niemand behauptet, dass die heutige Innenraumbelastung i. V. mit der ubiquitären Belastung durch Chlororganika, Schwermetalle, Nitrat und Ozon eine akuttoxische Belastung darstellt. Chronische Vergiftungen finden flächendeckend statt und gelten als unbedenklich. Das ist das Zauberwort und leicht herzustellen, wenn man nur akute Reaktionen ernst nimmt, die nur bei Unfällen stattfinden, also selten, und über den Zeitfaktor gar nicht erst nachdenkt. Unbedenklichkeit ist wirklich die Wahrheit in dem Sinne dass die Autoren jeden Gedankengang tunlichst vermieden haben. Dies ist seit den 90er Jahren der Standard zur Entrechtung aller Opfer.
Die Beweise, also die Vergifteten, werden ihrer Menschenwürde beraubt. So werden Art. 1 und 2,2 außer Funktion gesetzt. Niemand hat bisher ernsthaft versucht, via Bundesverfassungsgericht dem nachzugehen. Immer wenn ich SHG-Vertretern, die das „als Idee“ geäußert haben, entsprechende Anforderungen aufgezählt habe, war der Enthusiasmus vorbei.
Viel wichtiger aber ist die Desinformation auf den unteren Ebenen im Verwaltungs-, Sozial- und Zivilrecht. Zur Beurteilung werden die Grenzwerte für Akut-Schwellen herangezogen, also der irrführende Maßstab. Die Invalidität erfolgt durch Langzeitbelastung geringer Expositionen. Die entsprechend hohe Dosis ergibt sich durch den Zeitfaktor, den keiner interessiert. So werden die Rechte der Versicherten annulliert und auch die Haftungen des BGB unterlaufen.
Dazu kommt noch das Mobbing der Opfer als weiterer Tatbestand, allgemeine aktive Demütigung und Ausgrenzung.
Attitude statt Fachwissen
So wie Unbedenklichkeit nicht hinterfragt wird, so werden die Experten erst recht nicht zur Rechtfertigung herausgefordert. Dies ist gewissenmaßen tabu: „Sie haben hier den Gutachter nicht zu examinieren!“ (Wortprotokoll ##) – statt eines Befangenheitsantrags hat der Klägeranwalt gekuscht. Unser Rechtsstaat ist wieder autoritär geworden.
Der Hauptschutz der Bullshitter ist diese Normalität. Sie sind Experten. Das, was sie tun ist die Norm. Das prägt die Kommunikation, den Prozessverlauf, den Umgang. Kritik an den Bullshittern ist wie Majestätsbeleidigung. Wer das vor Gericht tut, wird abgewürgt. Wenn er es aber nicht macht, werden die Kritikpunkte als peripher weggewischt. M. a. W. der allgemein anerkannte Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, der entscheidende Rechtsbegriff für die Wahrheitsfindung, steht nicht mehr zur Diskussion.
Sie bekommen immer Hilfe: Wenn der Professor das so sagt, wird es schon stimmen; wenn der Professor bestimmte Publikationen nicht liest, wird das schon seine Richtigkeit haben. So fand eine Richterin nichts dabei, dass der „Experte“ sich nur auf Telefonate mit anderen „Experten“ berufen konnte (Merz 2001c). Eine andere konnte sich nicht vorstellen, dass der Herr Prof. etwas falsch macht, wo er schon so lange Jahre mit diesem Gericht zusammengearbeitet hat.
Das ist die Welt aus freier Erfindung, Vorurteilen und Unbedenklichkeit. Grenzwerte, die seit zehn Jahren nicht mehr gelten, werden nicht beanstandet. D. h. es gibt keine wirkliche Sachprüfung mehr. Das ist gemeint, wenn Frankfurt sagt, dass B. immer auch persönlich ist. So wird aus Kritik Angriff auf die Person des Gutachters. Damit steht der Falsche als befangen da.
Das ist aber peu á peu so installiert worden. Aus „unfein“ ggf. auch „unseriös“ wird befangen.
Anmaßung, Attitüde und Konsensfalle
Wir müssen uns bei Köhler bedanken, dass er derart überzogen hat – zur Erinnerung: (1) er weiß alles besser entgegen von 70 000 Publikationen und (2) er kann einem Lungenpatienten ansehen, woher der Schaden kommt. Aber die Attitüde beherrscht er perfekt: diese dezente Herablassung und dieses professoral-erklärende in der Vorlesungsattitüde. Er erklärt ex kathedra, er diskutiert nicht. Dann ist nicht mehr der Streit der Vater aller Dinge, sondern Gottvater.
Sie werden auch gern persönlich. In der Verhandlung können sie einem nicht in die Augen schauen. In der Pause aber wollen Sie wissen, wen man alles kennt. Man kann dem, ohne unhöflich zu sein, kaum entrinnen.
Alles das meint der Bezug auf „Jemanden“ in der Bullshittdefinition (vgl. o. q#). Bullshit ist nicht auf Aussagen beschränkt. Gutachter sind kleine, überschaubare Gruppen. Die Opinionleader sind handverlesen. Es zählt die Verlässlichkeit, nicht das Fachwissen.
So entstehen etwa in Erörterungen Szenen, die teils köstlich, teils beklemmend sind, wenn der Fachmann auf den „Experten“ trifft: etwa ein FH-Professor, der als Stadtrat für eine innovative Entscheidung eintritt und seinen ehemaligen Kommilitonen wiedertrifft, der inzwischen Beamter ist und die Maxime vertritt: „Das haben wir noch nie so gemacht“. Der eine weiß, wovon er spricht, der andere für wen er zu sprechen hat. Letzterer vertritt den verbeamteten Sachverstand. Der eine regt sich auf, der andere genießt seine mühelose Macht, ungetrübt von Fachkenntnissen. Den Grad der Peinlichkeit bekommen nur die wenigsten mit. Das Niveau kann dabei bodenlos sein. Sie schaffen alles zu unterbieten. Einmal hatte ich die Tonnage Blei für eine MV-Restmüll-Deponie ausgerechnet. Der offizielle Gutachter erwiderte: „Das stimmt nicht“. Also habe aus dessen Gutachten den Bleigehalt zitiert und mit der Füllmenge aus dessen Gutachten multipliziert. Dafür bekam ich Szenenapplaus. Diese „Experten“ sind zu allem bereit und zu allem fähig. Die stört auch nicht, was im eigenen
Unfug wirkt gekonnt und Fachwissen wirkt arrogant |
Gutachten steht. Das funktioniert deshalb, weil es auch sonst keinen interessiert, jedenfalls nicht in dem Maße, dass es kontrolliert wird.
Quod non est in actiis non est in mundo – kennt jeder Jurist. Was nicht in den Akten steht, existiert nicht. Die Erörterungen in den 80er Jahren bei den Planfeststellungen haben die Akten öffentlich diskutiert. Deshalb haben wir keine Plutoniumfabrik und kein flächendeckende Müllverbrennung. In einer solchen Erörterung wurde ein „Toxikologisches Gutachten“ präsentiert, das zu > 80% aus Füllseln bestand, einfach Texte aus Chemiebüchern – Kostprobe: „Kupfer ist ein rötliches Metall“. Die Autoren haben geglaubt „das liest eh‘ keiner“. Fast richtig, außer dem Gutachter der Gegenseite. Diese Gutachter sind später nie wieder aufgetaucht. Dieser Stil der Erörterung war das erste Opfer der Wissenschaftsvernichtung.
Deshalb wurde die Kritik immer schwerer. Denn Bullshit ist unglaublich. Leicht wirkt der Fachmann arrogant: Ein Gutachter hatte ein Doktorarbeit in seinem Gutachten verwendet und sie wohl sehr eigenwillig interpretiert. Der Doktorvater dieser Arbeit saß auf der Seite der Kritiker des Projekts und donnerte entnervt: „Sie haben versucht eine Dissertation zu verstehen, aber ich bin der Mann, der entscheidet, ob das eine Doktorarbeit ist.“ Das gab schlechte Presse. Da liegt das Problem. Die Öffentlichkeit erfährt so gut wie nichts mehr über die Sachverhalte. Die entscheidenden Details werden erst sorgsam versteckt, dann eliminiert. Dafür wird dann ein Wust hochtrabender Marginalitäten ausgeschüttet. Das liest zu recht keiner mehr und das ist der Sinn der Übung.
weil die Debatte mit Bullshit verseucht ist und die Gesellschaft nicht wahrhaben will, dass derjenige gutes Geld verdient, der aus Gedankenlosigkeit Unbedenklichkeit macht.
Stufen der Einschüchterung |
Für hartnäckige Kritiker gibt es Stufen der Einschüchterung; vielfach genügt schon die Drohung, dass sie zum nächsten Kongress nicht mehr eingeladen werden. Die nächste Stufe sind Schwierigkeiten bei der Publikation. Besonders elegant ist die Methode, die Kritiker einzuladen und diese dann zu demütigen, indem man ihnen diverse Absurditäten zumutet. Genügt dies nicht, folgt die Ausgrenzung: „unseriös“ (vgl. dazu Kap I). Diese Einschüchterung funktioniert praktisch lautlos. Auch kritischen Journalisten fällt nicht auf, dass die Begrifflichkeit „seriös/unseriös“ in der Wissenschaft nichts zu suchen hat. „Sind die wirklich so dreist?“ fragte mich einer, aber die Sache selbst, Grenzwerte aus 40 Jahre alten Publikationen (BK-Report 3/99) interessierte ihn auch nicht weiter. Der Report wurde zurückgezogen, aber es wurde nach der gleichen Methode weitergemacht und nu interessiert es wirklichen keinen mehr, auch nicht die Opfer. Denn es wollte keiner über die Schwelle, den Bullshit als solchen zu kennzeichnen und damit absichtliche Täuschung auch zu benennen.
Diese Leichtigkeit des Durchsetzens nutzt auch eine typisch akademische Struktur. In akademischen Kreisen gilt es als unfein, Kollegen zu kritisieren. Wenn der Patient dann allein vor dem Arzt sitzt, kann sich das anders anhören: „Was hat der Idiot gemacht?“ In manchen Kreisen gilt es gar als unfein, sich überhaupt mit fachlichen Themen zu befassen, die politisch relevant geworden sind. So verweigerte ein Neurologe der Staatsanwaltschaft im Holzschutzmittelprozess die Unterstützung, weil das Thema Dioxin ja nun politisch geworden sei (Schöndorf 1998, S. 64).
Unsere Streitkultur ist entsprechend deformiert. Nach Heraklit ist der Streit der Vater aller Dinge: „polemos“. „Polemik“ ist rein peiorativ besetzt. Also wird aus Innovation zunächst üble Nachrede. Unsere Ärzte würden sich vielleicht immer noch nicht die Hände waschen, wenn es danach ging, wie die Kollegen seinerzeit Semmelweis behandelt haben (Psychiatrie). Nach Virchow gibt es zwei große Hemmnisse für den Fortschritt: Autoritäten und Systeme. Die moderne Konsensfalle lautet: wir müssen forschen, ein Satz der so erkenntnisreich ist, wie wir müssen alle mal sterben. Bullshitter sind so gesehen auch die Plattitüdenkönige.
Politisch wird das in der Konsensfalle abgesichert (Merz 2019##). Man darf „kritisch“ diskutieren, aber nur „wissenschaftlich“ und „sachlich“. B. hat aber die Sachlichkeit und Objektivität deformiert. Seinerzeit habe ich meine Auseinandersetzung mit dem Füllselgutachten als „Strafarbeit“ bezeichnet. Das war damals auch schon am Rande des erlaubten.
Mittlerweile hat man keine Chance mehr, wenn man etwa im BK-Report 2/2007 (##) reklamiert, dass im Text ständig auf des Merkblatt aus 2005 (##) im Anhang hingewiesen wird, im Text selbst aber eine völlig andere Diagnostik vorgeschrieben wird. So etwa „großes Blutbild“, wohl wissend, dass bei allen chronischen Vergiftungen letzteres unauffällig ist. So etwas ist schon unsachlich.
So entsteht ein neuer Konsens, der allen schadet – Steigerung der chronischen Krankheiten, sinkender IQ - und die Verursacher schützt.
Hauptkosens ist das Ausklammern des eigentlichen Themas, das Recht. Der „Konsens“ legt erst mal das unkritische Thema fest – Forschungsbedarf (1) und im zweiten Schritt kommt dann die Zumutung, ein abwegige Thesen (2) ernsthaft diskutieren zu sollen (Beispiel: Toxikopie, vgl Teil II, q‘#). Die Psychodebatte lief so über zehn Jahre. Es gibt nicht eine Kasuistik, die die Psychothese stützt. Doch die Formel vergiftet = psycho ist unhinterfragte Rechtsgrundlage (3) bis heute. Gehirnwäsche wurde nicht in kommunistischen Umerziehungslagern kreiert, sondern hier und heute durch die ständige Verfeinerung von Bullshit. Auch hier und heute kommt Psychiatrie zum Einsatz: Die Versicherung verlangt und bekommt die Reha in der Psychiatrie und das Gericht besteht auf einem Psychiater als Gutachter. Und der Anwalt rät der Klägerin zu – „Kooperationspflicht“ – statt Anzeige wegen Körperverletzung zu stellen.
Um zu zeigen was alles möglich ist, welch abwegiger Konsens möglich ist, sei ein Neurologenkongress 2006 (## 2006) erwähnt, ein Jahr nachdem das neue Merkblatt zur BK 1317 heraus war. Der Kongress hat abgenickt, eine TE könne sich erst nach zehn Jahren Exposition bilden. Also: Neurotoxika können akut wirken – sie wirken z. B. alle narkotisch -, oder chronisch nach zehn Jahren – und dazwischen aber nicht! So werden Urteile erwirkt. Durch diese Lücke passen schon mal 70% der Fälle.
Wie man Bullshit erkennt, wurde oben dargelegt („Zerstörung von Wissenschaft“, vgl. o. q#). Und chronische Vergiftungen haben tatsächlich mit Psychologie zu tun: Einschüchterung.
Die Debatte muss sich bis zum entscheidende Detail durcharbeiten. An solchen Detailfragen führt kein Weg vorbeiführt, oder der Rechtsstaat nimmt Schaden. „Lohnt sich das denn?“, fragte mich eine Aktivistin. Sie meinte, auf die Moralpauke hauen genüge. Diese SHG ist sang‘ und klanglos in wenigen Monaten untergegangen. Und die SHG-Mitglieder haben stets den Herrn Prof. vor Kritik geschützt, indem sie hilfesuchend aufgeschaut haben und dann schon etwas enttäuscht waren, dass der Herr Prof. die mitgebrachten Unterlagen gar nicht sehen wollt. Der Schutz jener Autoritäten beginnt bei der Mehrheit ihrer Opfer, deren Anwälten und deren Ärzten.
Die Aktivisten sind lieber laut statt akribisch und wollen ihre heile Welt nicht missen. So ist diese heile Welt untergegangen.
Es geht um Existenzfragen. Doch die rechtlichen Mittel werden komplett beiseitegelassen. Journalisten tun dies mit Gutachterstreit ab, wie die Staatsanwälte gern Köperverletzung zu Gutachterstreit aus dem Strafrecht eliminieren. Politiker drücken sich gern mit „Verschwörungstheorie“, statt die Deformation des Rechtsstaates zu reflektieren, denn sie sind ja Teil dieses Prozesses. So habe es die Wutbürger leicht.
Gremien – Blick in den Mechanismus
Dort, wo Experten in größeren Gruppen auftreten, haben es die Bullshitter nicht so leicht. Dort fallen mangelnde Fachkenntnisse noch auf und müssen kaschiert werden. Diese Zusammenkünfte finden in den Gremien statt.
Der Stand der Wissenschaft wird hier festgelegt und er wird auch durch eine Fachdiskussion festgelegt. Der wissenschaftliche Diskurs findet hier Eingang.
Doch sie sind nicht öffentlich. Wer hineinberufen wird, ist nicht öffentlich>; kann auch nicht beeinflusst werden. Die Sitzungen sind nicht öffentlich und es gibt kein öffentlich einsehbares Protokoll. Wenn dies nun mit Qualitätssicherung begründet wird, so kann nach der Umweltdebatte seit den 80er Jahren gesagt werden, dass gerade diese verschlossenen Türen dafür gesorgt haben, dass die Wissenschaft auf der Streck geblieben ist.
Die Empfehlungen für die BK 1317 sagen klipp und klar, dass Mischintoxikationen von Lösemittel neurotoxisch wirken als gesicherte Erkenntnis (BMA 1996, Ziffer 4.). Aber eben nur ganz hinten und nur eher nebenbei. Ansonsten wird auf „Einzelsubstanzen“ abgestellt. Es geht fast unter, dass dazu viel mehr Daten herangezogen werden müssen und dies dann nur „belegt“ ist. Vorn werden 33 Substanzen als in „Zubereitungen nachgewiesen“ benannt, eine Angabe die für den Schutz der Gesundheit völlig belanglos ist. Denn was soll eine solche Liste aus dem Jahr 1985 und einer Empfehlung 1996. Dann folgt unter 2.1 „neurotoxische Lösungsmittel“ eine Liste von 14 Substanzen. Auch das ist völlig belanglos, denn diese Stoffe sind heute nicht mehr in „Zubereitungen“. Aber bis heute werden alle Invaliden abgelehnt, die nicht den Nachweis einer erheblichen Exposition mit diesen Substanzen nachweisen können und zwar rigoros. Das steht so nicht in dem Text, hat sich aber strategisch eingeschlichen wie die Bandstifter bei Biedermann.
Im Merkblatt von 2005 wird das dann deutlicher formuliert und im BK-Report 2/2007 ist es dann ausschließliche Bewertungsgrundlage.
Beim Start von Rot-Grün hat die SPD-Fraktion beim Büro für Technikfolgeabschätzung ein Generalgutachten bestellt (TAB 1998##). Den Entwurf konnte ich einsehen. Danach gab es keine toxischen Risiken (der SRU war revidiert). Ich durfte mich äußern – aber nur in der Form von Ergänzungsvorschlägen. Ich habe eine lange Literaturliste geschickt. Der Text wurde nicht ergänzt. Gutachter war Lehnert (alle Kritik hatte nichts genutzt; „Ohne Reste von Moral“ stand im Spiegel (##)). Also wurde der Gutachter, den die Hamburger Grünen einmal also „Unbenklichkeitsgutachter“ weggeschickt hatten (Uni Erlangen), nun zum Generalunbedenklichkeitsgutachter für die Sicht von Rotgrün auf unsere Umwelt.
In Sachen BK 1317 wurde versucht durch die Malerstudie von Triebig die BK zu verhindern. Eine schwache Studie gegen viele hochrangige. Er hatte 1996 nur die Chance der Schleichenden Revision mittels der obsoleten Einzelstofftoxikologie. Aber schon im 2005er-Merkblatt konnte er einen weiteren Schritt tun und im BK-Report 2/2007 wurde dann die vollständige Zerstörung des weltweiten Standes der Wissenschaft in Sachen Nervenschäden festgeklopft. Empfehlungen, Merkblatt und TAB sind Gremiensache. Ohne öffentliche Kontrolle werden Wissenschaftler zurechtgeklopft; im TAB wurde gezeigt, dass das auch anstandslos mit den Grünen geht.
Einflüsse |
Diese Gremien tagen stets nichtöffentlich. Die Mitglieder sind nicht bekannt. In der Sache mit dem amtlichen Merkblatt zur BK 1317 konnte nicht geklärt werden, wer für das Merkblatt von 1997 verantwortlich war. Wie ist es vorstellbar, dass ein Sachverständigenbeirat in den Empfehlungen zur Einrichtung einer neuen Berufskrankheit expressis verbis genau das Gegenteil von dem schreibt, was nachher - ein knappes Jahr später - im Merkblatt formuliert wird? Der Kern wird von allen erarbeitet. Die Endredaktion von wenigen. Das wird dann ab genickt. Derartige Gremien sollten eigentlich von der Exekutive kontrolliert werden. Es sieht aber nicht so aus, als ob dies gelänge. Im Gegenteil. Deren Intentionen werden unterlaufen (vgl. Blüm 2004).
Es wird nicht nur die politische Intension des Chefs unterlaufen, sondern die Gesetzeslage insgesamt. Gesundheitsschutz ist rechtlich ein hohes Gut. Deshalb hält man es so hoch, dass der Kontakt mit der Realität nur noch schwach ist und insbesondere aus dem Blick gerät, wie ein solcher Kontakt gestaltet sein müsste. Eine steigende Zahl toxischer Invaliden verstößt gegen viele Gesetze. Dies wird verschleiert dadurch, dass Interessenvertretung Objektivitätsstatus erlangt. Die Steigende Zahl der Invaliden wird zu Rätsel und die Zurückhaltung der wissenschaftlichen Fakten und Definition zu Bedauern.
Es gibt dafür kein historisches Beispiel. Allerdings eine Analogie, die ich an dieser Stelle nicht expressis verbis anführe. Es wurde auch noch nie 40% der Bevölkerung flächendeckend mit einer Situation alleingelassen, die sie nicht bewältigen kann. Der Verfassungsrechtler Mangold nannte das einmal perfide. Irgendwelche Einwände??
[1] Es ging weniger um Rationalismus oder Humanismus, wie wir oft in der Schule lernen.