Ätiologie - klinisch
Multisystemerkrankungen (MSE)
Wie unter Definitionen gezeigt, ist systemische Entzündung gemeinsame Ursache der Umweltkrankheiten. Diese können auch gemeinsam auftreten, etwa TE:CFS:MCS = 1:1:1. Die Verteilung wird i. d. Regel von den Stärken und Schwächen des Organismus strukturiert und vom Schadstoffcocktail der Exposition.
Dazu hat sich ein Sammelbegriff gebildet, aber leider nicht durchgesetzt: „Multisystemerkrankungen“ – MSE. Er trägt der Tatsache Rechnung, dass für viele Patienten mehrere jener oben dargestellten Diagnosen zutreffen. Diese zeigen die gleichen biochemischen und zellulären Funktionsstörungen. D. h. gleiche pathologische biochemische Störungen führen zu unterschiedlichen klinischen Manifestationen. Behan zeigte schon 1990 bei OP-belasteten Schäfern, dass die einen mehr eine TE, die anderen mehr das CFS entwickelt hatten. J. Bland hat, wie schon aufgeführt, den Zusammenhang mit systemischen Entzündungsprozessen gezeigt. Es ist die funktionelle Medizin, die eine Veränderung der Genexpression und der Enzyminduktion bei chemisch-toxischer Belastung feststellt (Bland 2000#, vgl. u.).
Die Definitionen der verschiedenen Krankheiten stellen demnach ein Grundmuster dar und sind historisch gewachsen: MCS 1948 aus der Allergologie, SBS 1982 aus der Innenraum-Toxikologie, TE aus der Epidemiologie 1985, CFS 1992/1994 aus der Umweltdebatte. Dieses Grundmuster ist typisch und erlaubt Rückschlüsse auf toxische Einflüsse, nur nicht auf genau den Einzelstoff. Es sind immer Gruppen: Neurotoxika, Immunmodulatoren, chemisch-irritative Stoffe, Reizstoffe etc. Einzelstoffzuweisungen kann man im Organismus nicht zurückverfolgen. Das einmal ins Spiel gebrachte Effektmonitoring ist nicht weiterentwickelt worden (zum Monitoring s. u.).
Individuelle Prägungen
Je nach Stärken und Schwächen des Organismus, erhält jede Erkrankung eine individuelle Prägung. Nach langem Abwehrkampf des Organismus, zeigt er letztlich dort Brüche, wo er von der Anlage her am schwächsten ist.
Die nebenstehende Tabelle zeigt nicht nur eine individuelle Verteilung, sondern auch einen individuellen Verlauf einer TE nach Expositionsende (Orbaek 1988).
So finden sich individuelle Prägungen bei allen Funktionsstörungen in Zusammenhang mit der TE. Der eine hat eher psychisch Mühe, der andere mehr im mentalen Bereich, der dritte schwerpunktmäßig im motorischen Bereich (etwa Gleichgewichtsstörung). und wieder ein Anderer ist nur noch müde. Ja, sogar die Merkfähigkeit wird moderiert: der eine kann sich keine Texte mehr merken, der andere hat da keine Probleme, aber dafür bei Graphiken oder er bringt nicht mehr zusammen, was er gerade auseinandergeschraubt hat.
Organismus erkrankt an seiner schwächsten Stelle |
In jener Statistik zeigt sich auch, dass CFS mit allen anderen Diagnosen verträglich ist.
Die Menschen sind unterschiedlich gute Entgifter. Bei vielen Enzymen des Entgiftungssystems sind Polymorphismen nachgewiesen [1]. Polymorphismen sind genetische Unterschiede – im Unterschied zum genetischen Defekt, der selten (Def: <1%) auftritt. Der Organismus hat demnach in der Regel nicht alle Entgiftungsenzyme im ausreichenden Maße zur Verfügung. Dr. Kuklinski, der stets eine Bestimmung der genetischen Anlagen bezügliche der individuellen Entgiftungskapazität seiner Patienten vornehmen lässt, sagte, die guten Entgifter hätte er noch nie in seiner Praxis gesehen. Die genetische Entgiftungskapazität von 12 Enzymen ist analysierbar. Das erlaubt schon eine große Anzahl Kombinationsmöglichkeiten. Nach den Regeln der mathematischen Kombinatorik ergeben sich 12! unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten, also 479 001 600 Variationsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass Giftstoffe Enzyme auch blockieren können, dass es Synergismen unter den Giften gibt, dass durch Überbelastung essentielle Kofaktoren für Entgiftungsenzyme verbraucht sind usw. usf. Allein diese wenigen Tatsachen genügen, es unwahrscheinlich erscheinen zu lassen, dass zwei Menschen auf die gleiche Belastung auch gleich reagieren. Das ist auch eine vernünftige Einrichtung der Natur und es ist eine unvernünftige Reaktion, dies dann nicht akzeptieren zu können.
Diese Tatsache erklärt auch, warum bei Gruppen, die prinzipiell der gleichen Situation ausgesetzt sind, „nur“ wenige Prozent schwer erkranken (Die größten Kohorten: die Veteranenstudie 5%, EPA in neuen Räumen 6,4 %), während die anderen nicht betroffen scheinen. Es ist sicher nur ein Schein. Denn leichte Verlaufsformen werden selten registriert oder nicht ernst genommen. D. h. diese Statistiken von Gruppen mit Umweltschäden sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verharmlosend falsch. Einige werden reagieren, wenn sie die ersten Anzeichen spüren– und andere arbeiten weiter, da sie die Erkenntnis der Erkrankung noch nicht erreicht hat. Außerdem geht Chronifizierung unterschiedlich schnell. Mit der Genanalytik ist das Nebeneinander von schwer Kranken und Symptomfreien widerspruchsfrei erklärbar. Schließlich ist das für die Toxikologie nichts Neues: Sie geht stets von einer Spreizung der Suszeptilität von einem Faktor 10 aus.
Eines der medizinischen Hauptprobleme unserer Zeit ist die Blindheit gegenüber den leichten Fällen. Chronische Vergiftungen heilen nicht, d. h. leichte Fälle sind nur der Anfängen. Hinzu kommt die Brutalität mit der verdrängt und gemobbt wird. Es ist wider jede Vernunft. die Sensiblen zu mobben und die Verdränger zu loben. Selbst einem Versicherungsmathematiker dürfte einleuchten, dass dies zu einer Milchmädchenrechnung wird.
Zu den organischen individuellen Prägungen kommen Eigenheiten der Ernährung, der Belastung und der Exposition hinzu. Diese individuelle Prägung, die sich auch laborchemisch in individuellen Mustern pathologischer Parameter wiederfindet, ist verträglich mit den Definitionen der Krankheitsbilder. Es existieren grundlegende Charakteristika der Klinik und der Laborwerte (etwa: Anzeichen von entzündlichen Prozessen, oxidativen Stress, etc.) einerseits und eine große Variationsbreite weiterer biochemisch-physiologischer Parameter andererseits: Allergien, Stati der Vitamine, Mineralstoffen, der Aminosäuren, insbesondere der essentiellen Aminosäuren, die der Fettsäuren dto., neben den klassischen zellulären Immunparametern die Entzündungsfaktoren, die Interleukine etc. pp.
Deshalb ist es eine so große Leistung gewesen, Grundmuster der chronischen Vergiftungen aus einem enormen Wust von Symptomen und Diagnosehinweisen herauszufiltern. Die Schulmedizin weigert sich bisher diese Leistung zu würdigen. Diese Haltung ist weder wissenschaftlich noch konservativ.
Einzelsymptome sind stets „unspezifisch“
Die bis hierhin getroffenen Aussagen stehen widerspruchsfrei zu der weitreichenden toxikologischen Literatur. So sind etwa VOC immun- und neurotoxisch und die Wirkcharakteristik stand Pate bei der Definition der des SBS, die historisch erste Definition einer Umwelterkrankung. Der größte Teil der Umweltgifte sind Zellgifte. Das ist das generelle Problem: die Steuermechanismen des Immun- und des Nervensystems werden gestört. Manchmal tritt noch eine Störung des Endokrinums hinzu, das Endokrinum ist die Welt der Hormone. Eine klassische Störung etwa ist der Nachtschweiß: alle Energie wird nachts verbraucht und für den Tag bleibt nichts über.
Ein Teil des Gehirns ist der Hypothalamus. Er stellt den Übergang vom Zentralnervensystem zum Endokrinum dar. Er steuert die Hypophyse. Deren Hormone sind für viele Grundfunktionen verantwortlich: Schlaf, Wasserhaushalt, Appetit, Energiehaushalt, Speicherfunktionen (Psychrembel##) Störungen führen zu Symptomatiken wie Schlafstörungen, extremer Nachtschweiß, rasante Gewichtszu- oder –abnahme (Waste-Syndrom), falsches – schädigendes – Trinkverhalten (zu wenig) und damit ggf. zusätzliche endogene Vergiftungen und auch immer das Gegenteil: Polyurinie.
CFS ist das klassische Beispiel der Störung von Immunsystem, Nervenapparat und Endokrinum. CFS zeigt deutlich eine Störung der Hypothalamus-Hypophyse-Achse. Cortison, als Immunsuppressor, hebt schon in kleinen Dosen die Erschöpfungs-Symptomatik auf. Es ist aber kein Therapeutikum – im Gegenteil. Nach Absetzung setzt die Wirkung verstärkt ein (Bland 2000).
Toxische Wirkcharakteristik im Einklang mit den MSE - Definitionen |
Oft trifft man auf die Vorstellung, der Zusammenhang von Giftwirkungen und Erkrankungen müsse so hergestellt werden können, dass sich die charakteristischen Wirkweisen der Einzelstoffe beim Erkrankten wiederfinden lassen. Dies ist nur äußerst bedingt der Fall, denn alle Symptome chronischer Vergiftungen sind unspezifisch Dass chronische Vergiftungen keine spezifischen Symptome erzeugen, stellt der Sachverständigenbeirat für Umweltfragen (SRU) in seinem 87er-Gutachten (SRU 1987, Ziffer 1253) fest.
„Da sich Schädigungssymptome bei Schadstoffen meist unspezifisch äußern, besteht selbst bei statischer Gewissheit über das Vorkommen einer Schädigung nur bei sehr gezielten und sehr umfangreichen Untersuchungen eine Chance, […] den eigentlichen Nachweis des Risikos oder der Gefährdung zu führen.“
Dass chronische Vergiftungen typischerweise unspezifische Symptome erzeugen, ist demnach eine altbekannte und anerkannte Tatsache, ist Stand der Wissenschaft seit mehr als 20 Jahren. Finden sich nur unspezifische Symptome, spricht dies für und nicht gegen eine Vergiftung. Die Frage der Dosis allerdings, ist eine andere Sache. Seit das so klar vom Sachverständigenbeirat gesagt wurde, hat man prompt die gezielten, umfangreichen Untersuchungen gestoppt, sofern sie überhaupt geplant waren (q##).
Symptomvielfalt ist typisch für chronische Vergiftungen. Bei einer langen Beschwerdenliste liegt ‚chronische Intoxikation‘ auf der Hand. Es gibt dazu auch kaum Alternativen, außer Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto, sofern diese ausnahmsweise nicht toxisch bedingt sind. Es gibt keinen „einfachen“ Fall. Auch das ist typisch und Stand der Wissenschaft.
Es sind die falschen seit Ende der 70er Jahre wissenschaftlich überholten Vorstellungen, die zu den Ärzte-Odysseen führen. Hätten die Ärzte die Diagnosekriterien zur Verfügung oder würden sie sie annehmen, wenn man sie ihnen brächte, könnte bei vielen die Invalidität verhindert werden.
Klinische Symptome sind eine Art Summe der biochemischen Reaktionen. |
Nun wird vielleicht der Einwand kommen, dass alle Gifte sehr spezifische bio-chemische Reaktionen zeigen. In der Tat, aber zu spezifischen klinischen Symptomen führt dies nicht. Denn Gifte wirken meist nicht nur in einer spezifischen Weise – VOC etwa sind immun- und neurotoxisch, DDT ist obendrein hormonverändernd (beide sind ubiquitär) - und wenn sie dies tun, setzen sie mehrere Sekundärreaktionen in Gang. Vertiefende Aufklärung dieser Interdependenzen hat Pall geleistet (vgl. u., q#).
Schließlich wirken Gifte selbst auch unspezifisch, nämlich durch Störungen der Zellmembranen. Sie lagern sich in die Membranen ein und stören so deren Regelfunktionen, etwa welche Stoffe in die Zelle aufgenommen werden und welche nicht, was u. a. erst zur Vergiftung der Zelle mit Stoffen führt, die sie ohne Membranstörung aussperren können. So galt etwa Chrom III als völlig ungiftig, bis die Umweltbelastung dies geändert hat. So fördert ein Gift das andere. Die Membranen steuern auch die Impulsweitergabe. So wird die Nervenleitung unterbrochen oder im Gegenteil, der Impulsabbruch findet nicht mehr statt. Dies ist einer der grundlegenden Mechanismen, die zu Kombinationswirkungen führen (Witte, Habilschrift, 1995).
Chronische Vergiftungen sind Erkrankungen mit einer großen Anzahl von individuell geprägten Symptomen, hervorgerufen von mannigfachen systemischen Störungen der Steuermechanismen des Organismus, die sich letztlich zu einigen wenigen typischen Grundmustern zusammenfinden. Dies sind toxische Muster, die auch typisch sind. Intoxikation ist so diagnostizierbar, ohne Rückschlüsse auf den Giftstoff im Einzelnen zu erlauben.
Symptommuster und Klinik
Diese Muster finden sich in den Diagnosekriterien, die Umweltkrankheiten bzw. chronische Vergiftungen definieren (vgl. o.). Solche Muster kann man aus der Bandbreite der toxikologischen Literatur heraussuchen. So wurde dies auch anfänglich gemacht, um zu wissen, wonach man bei den epidemiologischen Untersuchungen fragen musste. Daraus wurden in der Folge die Muster epidemiologisch aus dem Wust der Beschwerden herausdestilliert. Hinzu kommen die ebenfalls typischen Verläufe. Klinik ist definiert als die Gesamtsymptomatik (alle Symptome) und deren (jeweiliger) Verlauf (Pschyrembel).
Diagnostisch sind die chronischen Vergiftungen
an der Klinik zu erkennen.
Die WHO hat 1985 in weiser Voraussicht vier Stufen (= vier Schweregrade) definiert (q#): vom Handicap bis zur Demenz. Außerdem gibt es zeitlich abhängig Verbindungen und Übergänge zwischen den Beschwerdebildern chronischer Intoxikation, wie oben bereits dargestellt. Diese führen eigentlich zu Verwirrung, sondern sind eher Hilfen zur Entwirrung, wenn unkundige Lustlosigkeit die Zusammenhänge übersehen hat.
Vielfach finden sich in den Akten von Klägern, die eine Anerkennung gerichtlich festgestellt wissen wollen, anfänglich etliche Arztbriefe, die zusammen ein SBS ergeben. Das wird dann oft als Ärzteodyssee bezeichnet in der falschen Vorstellung, dass hier die Suche nach einer dem Beschwerdebild angemessenen Diagnose stattfände. Dies ist aber nicht der Fall: die Enträtselung erfordert die Zusammenschau aller dieser Diagnosen. Geht man diesen Weg, findet sich immer ein stimmiges Bild. Man kann dann auch differenzialdiagnostisch die Frage nach der Vergiftung abklären – jedenfalls in der Mehrheit der Fälle. Andere Krankheiten wie M Basedow oder Hashimoto sowie Borreliose zeigen nicht den typischen SBS-Vorlauf.
Nach Expositionsende gehen die reversiblen Symptomatiken – etwa der Schleimhäute – zurück. Es zeigen sich anschließend die Chronifizierungen: Hyperreagibles Bronchialsystem im Sinne eines Asthma bronchiale (HRB, anerkannt als BK 4302), toxische Enzephalopathie (TE anerkannt als BK 1317 (auch BK 1302)) ggf. i. V. mit toxischer Polyneuropathie, chronisches Fatigue Syndrom (CFS, geht vielfach mit der TE einher, beide sind G-Diagnosen (Erkrankungen des Nervensystems)). Die Diagnosekriterien der TE zeigen in den vier Schweregraden die Entwicklung (vgl. dazu Definitionen q# und diagnostische Probleme q#). Nervengifte erzeugen zuerst Funktionsstörungen im psychischen Bereich. Reizbarkeit, Desinteresse und sozialer Rückzug (vgl. Singer, q# 51)
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Verlauf der TE
- Mentale Veränderungen:
- Schlafstörungen,
- chronische Müdigkeit, -> CFS
- Kopfschmerzen,
- Geschlechtliche Dysfunktionen,
- Taubheitsgefühle in Händen und Füßen, -> TPNP
- Erkenntnis der mentalen Verluste.
und manchmal parallel dazu im autonomen Nervensystem (ANS), wie Herzrhythmusstörungen, Herzrasen etc. Beides sind anerkannte Frühsymptome.
Dann folgen die mentalen Dysfunktionen und an dritter Stelle die Schlafstörungen und der Konsequenz der chronischen Erschöpfung – dieses ist die Verknüpfungsstelle für die Steuerung, ob die Hauptsymptomatik mehr auf Erschöpfbarkeit oder auf klassischen neurologischen Dysfunktionen fokussiert wird.
Ärzteodyssee oder die zynische Variante, der Vorwurf des „Ärztehopping“, ist nichts anderes als die Verweigerung zusammenzufügen, was zusammen gehört, und dann von Rätselhaftigkeit oder gar Nichtglaubhaftigkeit der Symptomvielfalt zu reden. Es gibt auch keine Alternative: die Psychoausrede kann die Klinik nicht erklären und die Allergieausrede macht die Begleiterscheinung zur Hauptsache (vgl. u. Sensibilisierung, q#). Gerade dieses Scheitern stützt die Definitionen der WHO in Theorie und Praxis. Testvergleiche zeigen in signifikanter Weise Unterschiede in der Struktur zu psychiatrischen Erkrankungen. Schon im Psychotest lässt sich MCS und eine psychiatrische Erkrankung unterscheiden. (RKI-Studie S. 171ff).
Die Toxikologie stützt all‘ dies nachvollziehbar. Neurotoxische Stoffe erzeugen TE und TPNP. Immunschädigende Stoffe erzeugen Allergien und andere Immunstörungen (MCS, CFS). Oft sind die Schadstoffe beides (SBS). Wenn Schadstoffe darüber hinaus Hormone simulieren oder blocken oder dies in Kombination erfolgt, entsteht die Situation, die die Grafik zeigt (Rea 1992, „Preface“):
MSE sind Störungen der Steuermechanismen des Organismus |
Für diese drei Grundfunktionsstörungen finden sich in der Umwelt reichlich ubiquitäre Stoffe, so dass diese Störungen bei jedem Menschen stattfinden. Erkranken wird der, der besondere Inkompatibilitäten zwischen Umweltbelastung und seiner genetischen Ausstattung aufweist. Zur Ursachenerklärung haben den Schadstoffcocktail, deren Akkumulation im Organismus, die Ernährungsweise und die genetisch bedingte Physiologie des Individuums. Dies ist die Erklärungsweise der Funktionellen Medizin (vgl. u., q#).
Vergleicht man die Symptomvielfalt und die Wirkungsvielfalt aus der toxikologischen Literatur so finden sich die beschriebenen Wirkungen alle beim Menschen letztlich wieder und addieren sich zu den Krankheitsbildern, wie von der WHO definiert. Es ergibt sich auch im Einzelfall in aller Regel ein stimmiges Bild, wenn genügend Arztbriefe vorliegen.
Chronifizierung und Klinik
Es gibt zwei deutlich unterscheidbare Verläufe der Chronifizierung:
- Die sehr langsame Zunahme der Dysfunktionen bis zu einem Grad, der klinisch auffällig ist. Gerade die Langsamkeit macht es schwierig, eine Zustandsänderung festzustellen und die Defizite werden viel zu spät ernst genommen.
- Ganz im Gegenteil dazu erfolgt die allergische Zustandsänderung abrupt. Es gab große Diskussionen, wie dieser Gongeffekt zu verstehen sei. Dabei sind sowohl die unspezifischen wie auch die spezifischen Allergien gemeint. Zu ersteren zählt im Wesentlichen das HRB und MCS (allerdings finden sich auch bei Nahrungsmittelallergien solche, die nur im Trial-and-Error-Verfahren aufgedeckt werden können). Die spezifischen Allergien sind über Immunglobuline (Antikörper) oder zelluläre Reaktionen (Bildung von Effektorzellen) in vitro nachweisbar.
Der Unterschied der beiden Verläufe ist der von Restriktion und Hypersensibilisierung. Das kann auch miteinander auftreten. So gibt es die obstruktive [2] Atemwegserkrankung als reine HRB (Asthma bronchiale) und als Lungeninsuffizienz. Ersteres ist eine krampfartige Atemnot durch unspezifische Immunreaktion und das andere eine dauerhafte Schädigung der Lungenfunktionen. Sie treten getrennt und auch gemeinsam auf. Sie können beide durch schädigende Einflüsse von außen erworben werden.
CFS und – teilweise – TE / TPNP sind restriktiv erzeugt durch eine Mitochondriopathie, eine Minderung der Energieversorgung der Zelle und zwar auf dem aeroben Weg, also eine Restriktion der Atmungskette an ihrem Ende. Die Neuropathien sind Folge des hohen Energiebedarfs der Neuronen. Die Pathomechanismen sind seit 1999 aufgeklärt (vgl. u. q#).
Die restriktiven Dysfunktionen erfolgen langsam und kontinuierlich und sind bei sorgfältiger Überwachung erkennbar, bevor sie klinisch auffällig werden. Das heute das genaue Gegenteil geschieht, ist ein wichtiger Grund, warum dieses Buch überhaupt geschrieben wurde. Die Sensibilisierungen zeigen einen phasenweisen Verlauf und abrupte Zustandsänderungen.
Der phasenweise Verlauf
Für MCS werden drei Phasen beschrieben. Eine erste kurze Phase mit harmlosen Symptomen – etwa exzessives Naselaufen beim Tanken, anschließend eine lange symptomfreie mittlere Phase, die „Latenzphase“ (Rea 1992#) oder „Triggerphase“ (Ashford und Miller 1998, S. ##). Der Zusammenbruch kommt dann plötzlich. Das Immun- und das Detoxsystem haben ihre Mittel ausgeschöpft und der Organismus reagiert nun heftig auf kleinste toxische Expositionen.
Welche Mittel gibt es, solche Abläufe zu erkennen und dann zu definieren? Sorgfältige Anamnese, Sammlung von Kasuistiken und deren Analyse. Auf ersteren Weg hat Randolph einst die ersten Schritte in Richtung Umweltmedizin getan (vgl. o. q#). Rea nennt einen Erfahrungshorizont von 20 000 Patienten (Rea in allen vier Bänden, jeweils im Vorwort).
Die deutsche Arbeitsmedizin anerkennt sensibilisierender Arbeitsstoffe (MAK-Liste) seit Mitte der 90er Jahre. Die Stoffliste wird mit jedem Update länger und sie anerkennt die Sensibilisierung:
„Bis heute lassen sich weder für die Induktion einer Allergie (Sensibilisierung) noch für die Auslösung einer allergischen Reaktion beim Sensibilisierten allgemein gültige, wissenschaftlich begründbare Grenzwerte angeben. Eine Induktion ist umso eher zu befürchten, je höher die Konzentration eines Allergens bei der Exposition ist. Für die Auslösung einer akuten Symptomatik einer Sensibilisierung. Auch bei Einhaltung der MAK-Werte sind Induktion oder Auslösung einer allergischen Reaktion nicht sicher zu vermeiden. (MAK 2012, S. 172)
Das ist, wenn auch etwas umständlich formuliert, um das „MCS“ zu umgehen, eine ganz brauchbare Definition von MCS. Hier wird vielwortig verschwiegen, was kurz und bündig hätte formuliert werden können, wie etwa die EPA-Definition von MCS nicht: Reaktion auf Dosen, die vorher vertragen wurden (##). Es gab sogar noch eine weitere Annäherung durch die DEGAUM: die Herabstufung der Psychothese zu einer Neben- oder Begleiterscheinung (Nasterlak et al 2003). Weil diese Chancen von den Aktivisten nicht genutzt wurden, war die Chance bald dahin, und es war wieder alles psycho – deshalb dieses Buch.
Die US-Behörde, die - etwa wie unser SRU - für die Feststellung des Standes der Wissenschaft zuständig ist, der National Research Council gibt in einem Workshop 1992 (NRC 1992##), eine klassisch immunologische Erklärung: „Sensibilisierung gegenüber Chemikalien kann als Veränderungen im Organismus, insbesondere des immuno-chemischen Systems, durch Exposition gegenüber Chemikalien, die bei späterer Chemikalienexposition vom Organismus wiedererkannt werden, definiert werden. Solche Erkennung führt zu einer Antwort, die durch eine stärkere Reaktion bei niedrigerer Dosis gekennzeichnet ist...“ [Lebowitz 1992#].
Es gibt auch hier bei der pathologischen Veränderung des Immunsystems eine restriktive Entwicklungslinie, nämlich eine multiple Schädigung der Proliferation der ungeprägten Zellen.
Sensibilisierung hat immer mit Fehlinformation zu tun. Fehlprägung im Knochenmark (B-Zellen) und in der Schilddrüse (T-Zellen) und schließlich der Informationslage des Systems (Interleukine) mit der Folge überschießender Reaktionen (Allergien und andere Überempfindlichkeiten) (Rea 1992, Band I (Mechanismen) und Rea 1997 Band IV (Labor und Therapie)) gesehen. MCS-Patienten entwickeln Allergien mit zunehmender Anzahl von Typ I nach Typ IV [Rea et al 1995].
Diese Immunstati sind der pathologische Befund. Auch hier ist die Interpretation von Mustern erforderlich: systemisch-entzündliche Zustände (vgl. o., q# und u., q#). Diese sind chronisch. Die ursprünglich auslösende Intoxikation ist da schon nicht mehr vorhanden, ausgeleitet oder verbraucht. Deshalb führt Biomonitoring immer in die Irre (vgl. anschließend die Ausführungen zur „Inneren Dosis“).
Die Immunstati erlauben den Verlauf zu monitoren. Trotz aller individueller Unterschiede (keine zwei Patienten sind gleich) lassen sich die o. g. Phasen unterscheiden: erhöhte Alarmbereitschaft ohne Beschwerden (Aktivierung in der Latenzphase), erhöhte Alarmbereitschaft mit entzündlichen Prozessen (Sensibilisierung), schwere Schädigung bis hin zur vollständigen Lebensunfähigkeit ohne besonderen Expositionsschutz. Bei der Mehrzahl der MCS-Patienten sind alle Lymphozytenpopulationen erniedrigt und aber gleichzeitig „aktiviert“, d. h. die innere Struktur in Richtung Sensitivität verändert: das T4/T8-Verhältnis ist erhöht. Die Entzündungsbereitschaft ist erhöht und die Gegenregelung (CD8) geschwächt. À la longue setzt die Abnahme der Lymphozytenpopulationen fort und führt zu weiteren Organschäden, etwa Vaskulitis und/oder diversen Autoimmunerkrankungen, was ja nahe liegt. Nach Rea kann jedes beliebige Organversagen die weitere Folge sein (Rea 1994). MCS ist aus der Sicht der systemischen Entzündung eine langsam wachsende Inflammation, bei schwächer werdender Immunsubpression, die sukzessive Gewebe zerstört. Am Ende dieses Prozesses stehen dann so hohe Sensibilitäten, mit der Folge, dass kein geeigneter Wohnraum mehr für die Betroffenen zu finden ist, oder Suizid aus Verzweiflung oder aber auch ein beliebiges Organversagen. Die Pathomechanismen vorwegnehmend, sei noch zwei Laborparameter: Glutamat und Capsaicin (vgl. o. Pathomechanismen, q#). Diese beiden sind harter physiologischer Nachweis auch beim Individuum gegen vage Psychothesen.
Es gibt demzufolge keinen Grund, eine Beweisführung über die innere Dosis zu fordern, also ein Blut- oder Urinscreening. Im Gegenteil gerade dies führt in die Irre. Da aber diese Vorstellung unausrottbar die Auseinandersetzung entweder beherrscht oder irritierend stört, wird dazu ein besonderes Kapitel extra eingeschoben bevor die diversen biochemisch-physiologischen Pathomechanismen zur Erklärung der Klinik weiter vertieft werden.