Toxikologische Daten aus dem Tierversuch (ADI)
Der ADI wird in einem 2-jährigen Fütterungsversuchs mit der Ratte ermittelt. Die tägliche Dosis wird protokolliert. Solange die Testzeit fix ist, ist es die Dosis auch. Der ADI ist aber unabhängig davon definiert, wodurch der Zeitfaktor untergeht.
Der ADI, die duldbare tägliche Aufnahme, wird in λg Substanz/(kg Körpergewicht d) angegeben. λ steht dann entsprechend für m, µ, n, p oder f (milli, mikro, nano, piko oder femto = 10-3, 10-6, 10-9, 10-12, 10-15). Darin steckt die Behauptung, dass eine solche Tagesdosis lebenslang verträglich ist. Damit ist dem Zeitfaktor scheinbar Rechnung getragen. q#
Zum ADI-Modell stellen sich folgende Fragen: ist die Ratte das richtige Tier-Modell? Ist die Übertragung auf den Menschen biologisch-medizinisch korrekt oder wenigsten aussagekräftig? Ist die Gleichsetzung von 2 Testjahren mit lebenslang in der gleichen Größenordnung? Werden die wichtigsten Umweltschäden überhaupt wiedergegeben? Die Antwort lautet: Nein, auf alle Fragen.
So sind keine der Symptome der TE im Tierversuch testbar. Ein Highlight aus dem Holzschutzmittelprozess war die Frage des Nebenklagevertreters an den Sachverständigen: „Wie testet man Wortfindungsstörungen im Tierversuch, Herr Prof. Schlatter?“ (Schöndorf 1998, S. 139).
Jenseits solcher erhellender Anekdoten kann man die Modellkritik auch in präzise Zahlen fassen. Um der guten Ordnung willen sind die Mängel auf folgenden Gebieten quantifizierbar: Toxikokinetik, Aufnahmeweg, Neurotoxizität, pauschale Faustregeln als Ersatz für genauere Kenntnisse.
Die Fehlerquellen im Einzelnen und in Zahlen:
Modellmangel Kinetik:
Die Ratte ist ein sehr guter Entgifter. In Sachen Dioxin metabolisiert sie 100-mal schneller als der Mensch (##). Anders ausgedrückt, der Mensch akkumuliert 100-mal stärker. Seine innere Dosis ist dann bei gleicher täglicher Aufnahme 100-mal höher, d. h. der ADI ist um den Faktor 100 zu hoch. Aus dem Tierversuch (Ratte) wurde eine Wirkschwelle von 10 pg TEQ/(kg d) abgeleitet. Es wurde dann eine Zehnerpotenz nach unten korrigiert, da Dioxin eine sehr große Bandbreite toxischer Wirkungen aufweist, um der daraus resultierenden Unsicherheit Rechnung zu tragen. Es kam aber hinzu, dass der Mensch Dioxin kaum (oder gar nicht) metabolisiert, sodass bei gleicher Exposition eine 100-fach höhere innere Belastung resultiert. Schließlich ergab die Heranziehung aller Fakten (Toxikokinetik, Epidemiologie bei Vietnamveteranen, Erfahrungen bei Chlorakne-Patienten aus Chemieunfällen etc.), dass eine verträgliche Exposition unter 10 fg TEQ/liegen müsse.
Man muss annehmen, dass von einer notwendigen Korrektur von einem Faktor hundert grundsätzlich für kumulative und persistente Stoffe auszugehen ist. Man muss weiter annehmen, dass generell eine Korrektur anzusetzen ist, nach Maßgabe des Verhältnisses der Metabolisierungsgeschwindigkeiten und der Ausleitung.
Modellmangel Aufnahmeweg:
Ingestiv erreichen die Gifte vorrangig die Leber, Sie ist die zentrale Detox-Station des Organismus. Dort gibt z. B. viele Esterasen (Esterspalter). Viele Pestizide sind Ester: Pyrethroide, OP, ##(CARB??. Inhalativ aufgenommenen Stoffe erreichen unmittelbar nach Aufnahme in der Lunge aber das Hirn. Dieses Blut wird nicht metabolisiert bzw. erst später über systemische Umwege.
Aus einer Arbeit zu Pyrethroiden ging hervor, dass der Unterschied der inneren Belastung je nach Aufnahmeweg etwa einen Faktor 1000 ausmacht. Diese Aussage stammt aus der Harnkontrolle. Die üblichen Metaboliten waren bei inhalativer Aufnahme nicht nachweisbar (Meirhenrich, Dissertation, 19##). Die inhalative Aufnahme wird also ungefiltert und ohne Entgiftung dem Zellentyp zugeleitet, der den höchsten Sauerstoffverbrauch aufweist, weil er den mit Abstand höchsten Energieverbrauch aller Zelltypen aufweist.
Dies verstärkt die Wirkung zusätzlich. Die Empfindlichkeit der Neuronen wird durch die Empfindlichkeit gegenüber der Sauerstoffzufuhr demonstriert. Das Abklemmen nur einer – es gibt zwei - Halsschlagader um ein Bruchteil einer Sekunde führt schon zu einer kurzzeitigen Ohnmacht.
Aus diesen beiden Gründen ist die inhalative Aufnahme in der Regel um Zehnerpotenzen stärker als die ingestive.
Modellmängel (Die Ratte spricht nicht):
Wortfindungsstörungen oder Störungen der Planausführung sind dem Tierversuch nicht zugänglich. Die Diagnosekriterien der TE zu 80% auch nicht. Altersdemenzen ebenfalls nicht. Der ADI fällt als Orientierung (und sei es nur relativ zu anderen Stoffen bei Neurotoxika) im Wesentlichen aus. Es bleiben nur Lähmungserscheinungen und extreme kognitive Auffälligkeiten.
Lässt man die Stoffe Revue passieren, die in Jahrzehnten seit den 70er Jahren in der umwelttoxikologischen Diskussion eine Rolle gespielt haben, so muss man feststellen, dass da keine Stoffe übrigbleiben, die man anhand des ADI ohne Korrektur bewerten könnte.
Auch die Frage, welche Symptommuster der wichtigsten Umweltkrankheiten - TE, TPNP, CFS; FM (und auch MCS) – im Tierversuch getestete werden können, ergibt die Antwort: gar keine. Es ist nicht nur die offensichtliche Unfähigkeit, neurotoxische Wirkungen beim Menschen auch nur ansatzweise im Tierversuch testen zu können, der Tierversuch gibt in Sachen Umweltschäden überhaupt keinen vernünftigen Zugang.
Modellmangel (Faustregel für den Menschen):
Das Ergebnis des Tierversuches, d. h. der NOAEL, der No Adverse Effect Level, wird durch 100 dividiert und gilt dann für den Menschen: dieser Faktor 100 ist eine doppelte Faustregel: einen Faktor 10 für den Unterschied Ratte Mensch und einen Faktor 10 für die Suszeptilitätsbreite der unterschiedlichen Menschen.
Diese Faustregel vermittelt den Eindruck von Sicherheit.
Doch schon einer der oben aufgelisteten Modellmängel braucht diesen angeblich komfortablen Sicherheitsabstand mühelos auf. Das gilt bereits für die bezifferbaren Modellmängel. Dazu kommen die Modellmängel, die nicht bezifferbar sind, wie etwa der Dosisabstand von „mentale Langsamkeit“ (Mensch) und Lähmungserscheinungen (Tierversuch).
Korrektur des ADI
Der ADI unterschätzt je nach Anwendung, Umrechnung, Ableitung usw. das Risiko, d. h. die Dosis, um mehrere Zehnerpotenzen, je nachdem welche Fehler sich in der Berechnung aufmultiplizieren. Wie etwa wäre die inhalative Dioxinexposition zu werten? Wir wissen es nicht. In den 80er Jahren wurden Dioxin-Immissionen aus Feuerungen und Motoren über die Nahrungskette umgerechnet und die inkorporierte Dosis über den Ausscheidungsmetabolismus korrigiert. So wurde gewissermaßen von zwei Seiten der ADI als Wert fernab jeglicher Realität angepasst.
Es kristallisiert sich heraus, dass die Faustregel ADI/1000 eine größenordnungsmäßige realistische Korrektur zu sein scheint.
Als Beispiele seien drei völlig verschiedene Schadstoffe in Physik (Dampfdruck, Flüchtigkeit), Chemie (Organisch / anorganisch, hydro- /lipophil, Redoxpotenzial) und Biochemie (membranstörend, enzymstörend, neurotransmitterstörend) aufgeführt werden:
Dioxin: Die Nulllinie im Tierversuch ergibt für Dioxin eine verträgliche Dosis von 1 ng/(kg d) (##). Mit der üblichen Faustregel ergibt sich ein ADI von 10 pg/(kg d) für den Menschen. Bei Dioxin hatte man sich schon allein wegen der großen Bandbreite der Wirkungen geeinigt, dass der Faktor 100 als Sicherheit nicht ausreicht und ist zunächst von einem ADI von 1 pg/(kg d) ausgegangen. Die Akkumulation (Kinetik) erfordert noch eine Korrektur von einem Faktor 100. Die 2 500 Seiten starke Studie der EPA ergab unter Berücksichtigung aller Informationen, die über Dioxin bekannt waren, eine verträglich Dosis von 10 fg/(kg d) also 1/10000 des üblichen ADI (EPA 199##).
Arsen: zwei Wirkschwellen, nämlich für die akute und die chronische Wirkung – sie liegen einen Faktor 1000 auseinander (Marquart/Schäfer 1994, S. 511).
TVOC (VOC-Summe) ergibt sich gegenüber den MAK ebenfalls ein Faktor 1000 (exakte Ableitung unten, q#, auch Merz et al 2005#). Dieser Faktor ist die Korrektur eines mittleren MAK, als Repräsentant der Akutschwelle organischer Lösemittel, gegenüber der chronischen Wirkschwelle des TVOC. Bei zwei Substanzen ergäbe sich entsprechend eine theoretische Fehlbewertung von einem Faktor 2 000. Bei vielen Einzel-VOC lautet die Fehlbewertung letztlich – oder anders ausgedrückt theoretisch – 1000 * x mit beliebig hohen x (vgl. u. Vertiefung q#).
Nach diesen Überlegungen ist eine
vorläufige Pauschalkorrektur von ADI / 1000
notwendig, eher moderat. Übertrieben ist das nicht. Beispiele für eine geringere Korrektur sind eher selten – z. B. Zyanide.
Der ADI ist der Dreh‘ und Angelpunkt für Unbedenklichkeitserklärungen, da er unkritisch für alles herangezogen wird, für jede Informationslücke sozusagen. Obwohl der ADI keine Aussage über inhalative Exposition treffen kann, wird er dennoch gern dazu herangezogen. Es wird einfach umgerechnet. Die physikalische Einheit für den ADI ist λg/(kg Körpergewicht d) lässt sich physikalisch mit 20 m³ Atemluft pro Tag in eine Luftkonzentration umrechnen, aber eben nicht toxikologisch.
Das ADI-Verfahren versagt bei allen wichtigen Fragen: Akkumulation, Neurotoxizität und inhalative Aufnahme, d. h. bei geschätzt über 90% der Fälle und es versagt zu 100% bei allen definierten Umweltkrankheiten. Die ADI-Werte sind als Basisdaten noch in Gebrauch. Was immer daraus abgeleitet wird, ergibt in der Regel einen hohen beruhigenden „Sicherheitsabstand“. Der erfüllt vor allem eine Aufgabe: Er ermöglicht das Wort „unbedenklich“, denn er entmutigt jede Kritik. && Das führt in vielen Fällen dazu, dass eine fachgerechte Überprüfung von Unbedenklichkeitserklärungen gar nicht erst in die Wege geleitet wird.
Das ADI-Verfahren ist die harmonisierte [1] Paracelsus-Perversion. Es blockiert den Weg zu der Dosisbestimmung in einer Welt, in der bekannt und wissenschaftlich – nicht gesellschaftlich – anerkannt ist, dass die toxische Belastungsgrenze „erreicht oder überschritten“ ist. Der Rea’ sche Overload ist - letztlich - vom SRU anerkannt. Seine nähere Betrachtung aber, jene „umfangreichen Untersuchungen“ (SRU 1987, Ziffer 1253), die die Spitzenbelastungen von Risikogruppen sucht, die erhöhte Suszeptilität schlechter Entgifter beachtet usw. wird nun wieder in der Unbedenklichkeitsecke entsorgt. Diese Ecke ist mittlerweile recht groß. Risikogruppe ist mittlerweile ein Drittel der Bevölkerung (Allergiker).
[1] Dies erzählte mir ein Industrietoxikologe mit hoch erhobenen Zeigefinger. Der ADI ist also im Kern eine Absprache, die akute Intoxikation möglichweise kritisch bewertet, weitergehende – also vor allem chronische – Intoxikation gezielt in die Unbedenklichkeit herunterrechnet.