ADI-Konzept
Definition des ADI- oder DTA-Wertes
ADI (Acceptable Daily Intake) oder DTA (Duldbare Tägliche Aufnahme) wird in der Regel als Tagesdosis/KG Körpergewicht angegeben. Es wird von ihr verlangt, dass diese Dosis lebenslang verträglich sein soll. Diese Definition orientiert sich allein an der Dosis-Wirkungs-Beziehung nach Paracelsus – die Dosis macht das Gift.
Berechnungsschema
Ein standardisierter Tierversuch bestimmt zunächst den NOAEL (No Adverse Effect Level). Diese auf das Körpergewicht gezogene Tagesdosis wird dann mit einem Faktor 10 für den Unterschied Tier - Mensch und einem weiteren Faktor 10 für die unterschiedliche Suszeptilität verschiedener Individuen zum ADI umgerechnet.
Wirkschwellenbestimmen (NOAEL)
Bei dem standardisierten Tierversuch handelt es sich um einen zweijährigen Fütterungsversuch mit Ratten. Verschiedene Gruppen werden mit verschiedenen Dosen, die in der Regel jeweils eine Zehnerpotenz auseinander liegen getestet. Diejenige Testreihe, die keine adversen Veränderungen gegenüber der Kontrollgruppe aufweist, gibt die Grundlage für die Berechnung des NOAEL:
Internationale Standardisierung
Es wird immer wieder hervorgehoben, dass dieses Vorgehen des ADI-Konzeptes eine standardisierte und international „harmonisierte“ Vorgehensweise ist. Es handelt sich also um einen Kompromiss, nach vorheriger Fachdiskussion.
Es soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden, welche Argumente dafür angeführt werden, dass die zwei Jahre für „lebenslange Einnahme der Dosis“ ausreichend sind. Sicherlich ist auch diese Versuchsanordnung ein aufwendiges Verfahren und sicher hat der Aufwand des Verfahrens auch dazu beigetragen, dass das Konzept so festgelegt wurde, wie es seit einigen Jahrzehnten gehandhabt wird.
Hier ist zunächst festzuhalten, dass der ADI der einzige definierte Ausgangspunkt für eine toxikologische Bewertung einer Langzeitbelastung darstellt.
Starre des Konzepts unterschätzt die Wirkdosis systematisch
Die Standardisierung schließt einen Großteil der Biologie und einen Großteil der Toxikologie von vornherein aus, was im überwiegenden Teil der Fälle zu einer Unterschätzung der Wirkdosis führt. Die Unterschä-tzung der Wirkdosis kann mehrere Zehnerpotenzen betragen. Dieses Konzept muss als gescheitert betrachtet werden ( über die verbleiben-den Aussagekraft der in der Literatur zu findenden Daten siehe unten).
Momente der Unterschätzung der Wirkdosis
Beschränkung auf die Ratte
Im Sinne eines Sicherungskonzeptes muss verlangt werden, dass die jeweils empfindlichste Tierart oder noch genauer ausgedrückt, diejenige Tierart, die für die empfindlichste Wirkweise am empfindlichsten reagiert, jeweils eingesetzt wird. Wenn schon eine aufwendige Versuchsreihe in Szene gesetzt wird, sollte zunächst sicher gestellt werden, dass der ADI nicht schon an der falschen Tierart scheitert.
Die Ratte ist ein guter Entgifter
Im Zusammenhang mit der Diskussion über die sehr persistenten polychlorierten Dioxine, Furane und PCB wurde festgestellt, dass die Halbwertszeit – das ist die Zeit, die vergeht, bis nur noch die Hälfte der aufgenommenen Dosis im Körper verblieben ist – einen Faktor 100 kleiner ist als die des Menschen. Ein anderer Versuch zeigte, dass auch beim Einsatz von Affen sich dieser Unterschied in der Toxikokinetik (Dosisveränderung mit der Zeit) zeigte.
Man muss also grundsätzlich sicherstellen, dass die Toxikokinetik von Versuchstier und Mensch übereinstimmen oder der Unterschied genau bekannt ist. Die Toxikokinetik ist im Wesentlichen abhängig von der Bestückung des Entgiftungsapparates mit Enzymen, der Speicherungsfähigkeit des Stoffes und schließlich vom Aufnahmepfad.
Nach dem ADI-Konzept ergibt sich für Dioxin eine ADI von 10 pg/(kg d). Die Auswertung der 2500seitige Dokumentation der EPA kommt zu dem Schluss, dass nur 10 fg/(kg d) lebenslang verträglich sind. Zwei dieser drei Zehnerpotenzen sind der hohen Akkumulation dieser Stoffe im Körper geschuldet.
Aufnahmepfad
Der Aufnahmepfad stimmt für die Dosis-Wirkungsbeziehung eine entscheidende Rolle. Es ist sicherlich einleuchtend, dass der ingestive Aufnahmepfad für die Bestimmung der toxischen Wirkung auf die Lunge nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Dies gilt aber auch in vielen Fällen für das Nervensystem, nämlich immer dann, wenn die zu testende Substanz in der Leber rasch abgebaut wird, ansonsten aber speicherfähig ist. So werden etwa Pyrethroide durch Esterasen rasch gespalten, und die Metaboliten lassen sich im Urin nachweisen, bei der inhalativen Aufnahme allerdings nicht. Sie werden dann von der Lunge ausgehend direkt im Hirn gespeichert und es handelt sich dabei um stark nervenschädigende Stoffe. Der Dosis-Wirkungsunterschied beträgt mehr als einen Faktor 100.
Es ist deshalb kein Zufall, dass die gröbsten Fehlbewertungen bei den inhalativen Belastungen gemacht werden. Bei den Verfahren von Umweltkranken, die Entschädigung oder Rente anstreben, handelt es sich durchweg um inhalative Expositionen. Dennoch soll an dieser Stelle auch nicht verkannt werden, dass oft auch Nahrungsmittelallergien eine Rolle spielen.
Einzelstoffbewertung
Die Toxikokinetik wird auch noch von Stoffen beeinflusst, die etwa die Entgiftung oder Ausleitung behindern. Blockade des Detox-Systems spielt in der Umweltmedizin eine große Rolle.
Da die überwiegende Anzahl der im Gebrauch stehenden Umweltgifte Zellgifte sind, muss auch beachtet werden, dass viele Gifte in gesunde Zellen gar nicht eindringen können und erst durch andere Umweltverschmutzungen, die die Funktionsstörung der Zellmembran nach sich ziehen, in die Zelle gelangen.
In beiden Fällen der Kombinationswirkungen kann die Wirkschwelle um eine Zehnerpotenz oder mehr nach unten hin moduliert werden.
Bei Umwelterkrankungen handelt es sich nur in äußerst seltenen Fällen um die Exposition mit einem Stoff. Eine Einzelstoffbewertung ist deswegen in keinem Fall realistisch.
Wirkcharakteristik
Schließlich – last not least – sind viele Erkrankungen, genauer gesagt, 90% aller Umwelterkrankungen, im Tierversuch gar nicht testbar. „Herr Prof. Schlatter, wie testet man Wortfindungsstörungen im Tierversuch?“ war eine der Highlights im Holzschutzmittelprozess. Der Toxikologe wollte dem Gericht weismachen, dass er allein auf der Basis des Tierversuchs eine Wirkung bei den Holzschutzmittelgeschädigten ausschließen könne. Betrachtet man Krankheitsbilder wie toxische Enzephalopathie, chronisches Müdigkeitssyndrom oder die chemische Sensitivität so sind diese durchweg durch den Tierversuch gar nicht oder nur teilweise simulierbar.
Einzelstoffbetrachtung II (Basisdaten gemäß UBA)
Aus den oben genannten Gründen bemüht sich das Umweltbundesamt seit Anfang der 90er Jahre, um genau zu sein, seit dem Bericht 4/93, bessere Basisdaten aus der Literatur heraus zu eruieren und eine differenziertere Risikoabschätzung daraus abzuleiten. Inhalative und orale Aufnahme werden getrennt betrachtet, soweit kein NOAEL bekannt, wird aus dem LOAEL (das L steht für Lowest) mit Hilfe eines Faktors 10 der NOAEL abgeschätzt. Es wird die Versuchsanordnung daraufhin abgeklopft, ob man sie als chronisch, subchronisch oder akut einschätzen muss und schließlich wurden auch die Sicherheitsfaktoren kritisch betrachtet und ein zusätzlicher Sicherheitsfaktor für empfindliche Personen eingeführt. Darauf aufbauend wurde ein Ableitungsschema für Innenraumgifte entwickelt (s. Graphik, RW II = Langzeitwert).
Die Ergebnisse sind in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Werden die oben genannten Dinge beachtet, bzw. gelingt es, die für die Substanz maßgeblichen Fehlerquellen, die oben aufgelistet sind, zu eliminieren, dann ergibt sich auch eine für die Umweltbewertung brauchbare Größenordnung. Als Beispiel sei genannt Toluol: Der MAK-Wert von 190 mg/m³ ist heute noch gültig. Als RW II –Wert wurden 300 µg/m³ ermittelt. Der MAK-Wert ist also fast einen Faktor 1000 zu hoch. Der RW II-Wert trifft in etwa die Realität (vgl. Grenzwerte für Gemische) .
Die Methodik insgesamt trifft aber die Realität nicht. Seit 1993 wurden bisher nur für eine Handvoll VOC RW I und RW II Werte ermittelt. In Innenräumen müssen aber heute mindestens 120 Stoffe beachtet werden (ggf. bis 800 Substanzen) und außerdem wird der Gebrauch von Stoffen, die niedrige RW II Werte erhalten, oft eingestellt und durch andere Stoffe ersetzt. Die übliche Risiko"analyse" geht dann wie folgt, dass für diejenigen Stoffe, für die es RW II Werte gibt, eine Risiko-analyse erstellt wird und der Rest unbeachtet bleibt. Das bringt das politisch gewünschte Ergebnis, aber von einer wissenschaftlichen Risikoanalyse kann keine Rede sein. Aber genau das ist die Begründung für die Vernachlässigung von 80 - 90 % der Exposition, nämlich dafür gäbe es keine wissenschaftlich begründeten Richtwerte.
Man darf deshalb auch dieses verbesserte Verfahren als wissenschaftlich gescheitert ansehen.
Ist eine chronische Wirkschwelle wissenschaftlich definierbar?
Eine generelle Definition kann es aus den genannten Gründen nicht geben. Selbst wenn sie möglich wäre, wäre sie zu aufwendig, nicht praktikabel. Wollte man beispielsweise die Kombinationswirkung von nur 10 Substanzen berücksichtigen, so benötigte man für alle möglichen Kombinationen 10!/2 Korrekturfaktoren gegenüber der Einzelstoffbewer-tung, d.h. 1,8 Mio. Faktoren, die durch ein 1,8 Mio. Tests eruiert werden müssten.
Man wird also Modelle brauchen. Für Dioxine und Furane hat man so genannte toxische Äquivalente eingeführt, so dass man statt 245 Substanzen nur noch 17 Substanzen analytisch bestimmen muss. Die toxische Wirkung wird dann durch eine einzige Zahl repräsentiert – das toxische Äquivalent. Für VOC in Innenräumen hat der dänische Toxikologe Molhave ein Standardgemisch aus 25 gängigen Substanzen eingesetzt und so durch Probandenversuche die subchronische Wirkschwelle bestimmt.
Dass mit der richtigen Fehlerkorrektur brauchbare Ergebnisse erzielt werden, zeigt etwa die 2500-seitige Dokumentation über Dioxine durch die amerikanische Umweltbehörde EPA, die dann unter Beachtung aller wissenschaftlichen Fakten zum gleichen Ergebnis kommt wie schon zehn Jahre davor, als man in der Hauptsache nur als Korrektur in Rech-nung gestellt hat, dass der Mensch bei gleicher täglicher Aufnahme eine hundertfache innere Dosis gegenüber der Ratte aufbaut.
Dass das Molhave-Standardge-misch wohl richtig liegt, wird durch die wenigen RW II-Werte für einzelne VOC bestätigt. Dass die Beachtung von Kombinations-wirkungen ganz entscheidend für richtige oder falsche Bewertung sein kann, zeigt die amerikanische Veteranenstudie.
Es gibt wissenschaftliche Wege, die auch praktisch begehbar sind. Die toxikologische Einzelstoffbewertung ist es nicht. Mag sein, dass jeder Schritt wissenschaftlich sehr präzise ist, am Ende ist das Ergebnis aber weit von der tatsächlichen Giftigkeit entfernt.
Das muss jeder erkennen, der sich mit den wissenschaftlichen Fakten auseinandersetzt. Aber solange immer noch die MAK-Werte als Bewertungsgrundlage herangezogen werden, wird sich an diesem Missstand nichts ändern.
Download (kostenfrei):
ADI-Poster ‚Gibt’s es unbedenkliche chronische Dosen’ Arzt und Umwelt 1/1999
VOC-Grenzwerte