Chronische Intoxikation
Chronische Krankheiten
Warum die Website Toxikologie in (Einzel)„Schadstoffe“ und „chronische Intoxikation“ aufgeteilt wurde, hat seinen Grund darin, dass die Folge von Langzeit-Niedrigdosisbelastung erst dann sichtbar wird, wenn ein festes Krankheitsbild sich chronifiziert hat. Einzelstoffbewertung ist immer jenseits der Realität, dramatisch wird die Fehlbewertung dann, wenn die Symptomatik chronifiziert, der Schaden also dauerhaft ist und der Zusammenhang mit der Exposition aus dem Blick gerät. Die Chronifizierung, die sich aus vielen zu beachtenden Details erklären lässt, ist der Dreh- und Angelpunkt der Unterscheidung zur akuttoxischen Reaktion auf eine hohe Dosis einer Einzelsubstanz.
Erkrankungen durch Chemikalien sind aus der Arbeitsmedizin bekannt. Sie werden aber in der Regel als Einzelfälle behandelt. In dem Zusammenhang wird meistens von Unfällen gesprochen. Dies ist aber die Ausnahme.
Neue Krankheitsbilder durch Langzeitbelastung mit Gemischen von Umweltchemikalien wurden etwa Mitte des letzten Jahrhunderts entdeckt. Mitte der 70er Jahre ist das Chemikalienniveau so weit angestiegen, dass solche Erkrankungen ein allgemeines Phänomen wurden. Mitte bis Ende der 80er Jahre war die Forschung so weit, das erklären zu können. Diagnosekriterien wurden definiert und ....
Wirkschwelle für Langzeitbelastung erreicht und überschritten
.... der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat 1987 in seinem Umweltgutachten einige Stoffe genannt, bei denen die Wirkschwelle erreicht war: Dioxine, Furane, PCB, „und einige Pestizide“, Cadmium, Blei sowie Nitrat im Trinkwasser. Demnach war ab Mitte der 80er Jahre bekannt, dass unser Umgang mit Chemikalien ungesund ist. Auch ubiquitäre Stoffe wirken negativ auf die menschliche Gesundheit ein. Ab dann kann keiner mehr behaupten, das sei alles noch „unklar“, „rätselhaft“ und erst wissenschaftlich zu erforschen.
Was vielmehr versäumt - und auch aktiv blockiert - wurde, ist, die chronischen Wirkschwellen für diese Stoffe genauer zu bestimmen. Denn sie liegen in der Regel etliche Zehnerpotenzen niedriger als die akute Wirkschwelle. Trotzdem wird nach wie vor mit Wirkschwellen bewertet, die eben nicht „chronisch“ repräsentieren und eigentlich näher bei der akuten Wirkschwelle liegen.
Ein Beispiel soll dies erläutern: Bei Singer wird gleichsam in einer Nebenbemerkung erklärt, warum noch Anfang der 80er Jahre Konzentrationen von 100 mg und mehr für VOC (Lösemittel) als verträglich erachtet wurden. Die Arbeitsmedizin hat bis dahin nur massive Syndrome, die innerhalb 8 Stunden auftreten, ernst genommen. Das ist schlichte Akuttoxikologie, aber für die Arbeitsmedizin war das schon eine Langzeitbelastung und die Symptomatik der toxischen Enzephalopathie waren noch außer Perspektive.
Die chronische Wirkschwelle
zu bestimmen verlangt, den Wert 0+0 exakt zu messen. Wie messe ich präzise Nichts? Normalerweise ist es nicht die Aufgabe des Naturwissenschaftlers so aufzubauen, dass garantiert nichts dabei herauskommt. Er muss sich also von der sicher nachgewiesenen Wirkung der Nullstelle nähern. Dabei ist es bereits problematisch, die Nullstelle dorthin zu legen, wo der Effekt in der Vermischung mit anderen Effekten ("Rauschen") nicht mehr sicher identifiziert werden kann. Das ist nicht die Quadratur des Kreises, aber fehlerträchtig. Bei diversen Kombination kann der Fehler beliebig groß werden. Das Poster von 1998 zeigt eine Übersicht.
Infolgedessen treffen die ADI-Werte aus dem Tierversuch die Wirschwelle meist nicht und könne etliche Zehnerpotenzen zu hoch liegen. Die Toxikologie ist demnach nicht in der Lage, die Menschen vor Erkrankung zu schützen. Stattdessen schützen sie sich selbst vor Kritik.
Vorkommen und Verbreitung: "Nur" einige Prozent der Exponierten erkranken - Erkenntnisse aus großen Kollektiven
Es existiert die Vorstellung, bei Überschreiten der Wirkschwelle müsste die Mehrheit der Exponierten erkranken. Dies ist nicht der Fall. Als die amerikanische Umweltbehörde EPA 1985 in neue Räume zog, erkrankte 6,2 % der Belegschaft am Sick Building Syndrome. Von den 600.000 Golfkriegssoldaten erkrankten 30.000 - ebenfalls 5%. Mikkelsen untersuchte über 5000 Todesscheine von Menschen, die beruflichen Umgang mit Lösemitteln hatten und stellte eine signifikante Erhöhung der Krankheiten des zentralen Nervensystems fest.
Allerdings muss festgehalten werden, dass auch hier die Allgemeinheit den Studien vorangeht. Die Allergien sind in den letzten Jahrzehnten auf das Zwanzigfache gewachsen und werden heute mit 20 - 30% angegeben (offiziell, Bayern). Es fehlen dabei aber noch die Allergien Typ IV, die einen besonderen Umweltbezug haben, weil die Tests hierzulande nicht üblich sind
Der Wissenschaftsrat der USA (NRC) schätzte schon 1987 das Vorkommen von MCS auf 15%.
Entgiftungsleistung
Die toxische Wirkung ist von der Entgiftungsleistung des Organismus abhängig. Diese ist genetisch bedingt unterschiedlich. Die Gene des Menschen weisen bei den Entgiftungsenzymen Polymorphismen auf. Polymorphismen sind genetische Unterschiede, deren Vorkommen größer 1% ist (bei Vorkommen von <1% spricht man von einem genetischen Defekt). Nur 25% der Menschen sind gute Entgifter. PD Dr. Kuklinski, der die individuelle Bestückung mit Enzymen der Entgiftung bei seinen Patienten stets bestimmen läßt, sagte auf einem Kolloquium, dass er letztere in seiner Praxis noch gesehen hätte.
Unsere epidemiologischen Daten differenzieren bisher nicht zwischen guten und schlechten Entgiftern. Die bisherigen Studien am Menschen unterschätzen daher das Risiko.
Suszeptilität
Die Toxikologie setzt grundsätzlich eine Zehnerpotenz für die unterschiedliche Suszeptilität (Empfindlichkeit) für die Dosis-Wirkungsbeziehung an. Gemäß ADI-Konzept rechnet man gegenüber der Wirkschwelle im Tierversuch einen Faktor 10 für den Unterschied Tier-Mensch und einen Faktor 10 für den Unterschied Mensch-Mensch.
Doch die Literatur ist voll von Beispielen, dass der Unterschied größer sein kann und auf der Strecke akut -> chronisch anwächst. Eine Analyse des ADI-Konzept beweist, das die dort erzielten Basiswerte die Wirkschwelle nicht erfassen können.
Die Epidemiologie und Probantenversuch mit Lösemittel z. B. zeigen, dass die MAK-Werte etwa 3 Zehnerpotenzen (Faktor 1000!) zu hoch sind. Dies Ergebnis zeigt die Unterschätzung des Langzeiteffektes sehr deutlich.
Derzeit werden schlechte Entgifter mit Langzeitbelastung nicht geschützt. Der Artikel 2,2 der Verfassung ist demnach nicht erfüllt.
Ubiquitäre Grundbelastung und biochemische Individualität
Die Angabe darüber, wie viel Spermienaktivität als normal zeugungsfähig zu betrachten ist, wurde in den letzten Jahrzehnten wiederholt nach unten korrigiert. Die Werte wurden dem Durchschnitt angepasst. Das ist mit dem Wort Normalität vereinbar, aber nicht mit dem Wort Gesundheit. So ist es auch mit anderen physiologischen Parametern. Die heutigen Referenzwerte sind chemisch verändert. In dem Zusammenhang beklagt auch Rea, dass es für epidemiologische Studien äußerst schwierig ist, die entsprechende Kontrollgruppe Gesunder zusammenzustellen.
Die amerikanische Umweltbehörde EPA unterscheidet zwischen adaptive Reaktion und adverser Reaktion, wenn Referenzwerte wichtiger biochemischer Parameter überschritten werden. Da nun diese Grenze selbst chemisch beeinflusst ist, muss davon ausgegangen werden, dass der normale Zivilisationsmensch generell chemisch beeinträchtigt ist.
Biochemische MangelernährunG
Zur höheren Schadstoffbelastung tritt eine biochemische Mangelernährung hinzu. Die konventionelle Landwirtschaft produziert im Hinblick auf Vitamine, Mineralien und andere essentielle Stoffe abgereicherte Grundnahrungsmittel. Dies verschlimmert sich durch die verschiedenen Prozesse bei der Herstellung von Fertig- und Halbfertigprodukten. Dadurch werden Vitamine und Mineralien ausgeschwemmt und/oder abgebaut. Menschen in den Industriestaaten sind deshalb biochemisch unterernährt; Beispiel: der durchschnittliche Amerikaner erhält nur 40% des benötigten Magnesiums. (Näheres unter Funktionelle Medizin)
Verschärft wird die Situation durch einen Art Resonanzeffekt, da komplexe Stoffwechselanforderungen, wie sie die Entgiftung darstellt, auch einen höheren Verbrauch an Vitaminen, Mineralien und anderen essentiellen Stoffen verlangt.
Synergismen
Kombinationswirkungen können Wirkschwellen um Zehnerpotenzen senken: dies ist möglich, wenn ein Stoff das abbauende Enzym des anderen blockiert (z.B. OP und Pyrethroide), zum zweiten, wenn ein Stoff ein Enzym induziert (aktiviert) und der Metabolit eines anderen Stoffes toxisch ist (z.B. Dioxin und PAK), oder drittens wenn ein zellschädigender Stoff durch eine Membranstörung Zutritt zur Zelle erlangt (z.B. OP oder Schwermetall und Chlororganika). Für einen Kombinationseffekt sind manchmal schon kleine Dosen ausreichend: so senkt sich die Wirkschwelle eines OP um einen Faktor zwei durch Zugabe von nur 1/10000 eines membranöffnenden lipophilen Stoffes.
Sensibilisierung
Der Vormarsch der Allergien in den letzten Jahrzehnten ist schon ein Hinweis auf umweltbedingte Sensibilisierungen. Der Mechanismus ist nicht bekannt. Wenn aber Pollenallergien in der Stadt stärker zunehmen als auf dem Land, so kann es nicht nur allein an den Pollen liegen. Durch die Aufnahme sensibilisierender Arbeitsstoffe in die MAK-Liste ist in Deutschland die chemogene Sensibilisierung akzeptiert. Die Senatskommission vermerkt, dass diese Vorgänge unterhalb der Grenzwerte, d.h. der MAK-Werte erwartet werden dürfen. Besser kann man MCS nicht definieren.
Die chronische Wirkschwelle ist demnach nicht nur eine individuelle, sondern auch eine zeitabhängige Größe.
Chronische Wirkschwellen sind individuell und variabel
Es muss also davon ausgegangen werden, dass der moderne Zivilisationsmensch biochemisch mangelernährt und physiologisch adaptiv bis advers verändert ist. Der Organismus reagiert an seiner Schwachstelle oder mit den Worten der Funktionellen Medizin ausgedrückt, dort, wo die Inkompatibilität zwischen Umwelt und genetischer Ausstattung am eklatantesten ist. Chronische Wirkschwellen sind demnach individuelle Größen, die von der genetischen Ausstattung und den Umwelteinflüssen, einschließlich der Ernährungsweise abhängen. . Die Reaktion des Organismus auf Umwelteinflüsse ist zudem zeitlich variabel. Dosis-Wirkungsbeziehungen sind wissenschaftlich deshalb nicht generell definierbar.
Download (kostenfrei):
ADI-Poster
‚Gibt’s es unbedenkliche chronische Dosen’
Arzt und Umwelt 1/1999
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