Müllverbrennung
taz vom 12. Februar 2007, ganzseitig: "In Deutschland werden bis zu 40 neue Müllverbrennungsanlagen gebaut".
Tatsächlich klingelt wieder das Telefon mit Anfragen in Sachen Müllverbrennung, das Jahre geschwiegen hat.
Meine Prognose zu diesen Ausbauplänen aus professioneller Sicht (mein Haupt-geschäft 1983 - 1997): Sie haben es in den 80er Jahren nicht geschafft und werden es auch diesmal nicht schaffen (s. a. Leserbrief) – vorausgesetzt es bilden sich politische Kräfte vor Ort oder in der Region gibt, die sich sachlich kundig machen, so wie die Leute aus Kleinrinderfeld.
Müllverbrennung ist unökonomisch, unökologisch, ein Klimakiller und ungesund.
Der Autor dieser Website…traf 1983 als junger Umweltschützer und Ökologe auf der Suche nach einer Marktnische die Bürgerinitiative gegen die Müllverbrennung Würzburg. Das Thema hat mich dann in all seinen Facetten fast 15 Jahre beschäftigt und teilweise auch zwei andere Angestellte miternährt. Das war eine sehr dynamische und von beiden Seiten mit hoher Kompetenz geführte Diskussion, die im Übrigen auch mit allen Haken und Ösen geführt wurde, die Menschen aufbringen, wenn sie sich streiten – die Essentials der Risikoanalyse, die schlussendlich durchgesetzt werden konnte, wird am Ende der site skizziert – die Müllverbrennung emittiert Stoffe, bei denen allgemein die Belastungsgrenze erreicht ist (Details s.u.). Aktuell:
... zu teuer und ein Jobkiller
als Mitte der 80er Jahre die Aktivkohlefilter in die Diskussion kam, glaubte ich zunächst nicht an die Realisierung wegen der Kosten. Aber die machen nichts aus, wenn die Kosten auf die Allgemeinheit umgelegt werden kann. Müllverbrennung ist mit etwa 300 €/t die teuerste Entsorgung. Das Geld wird zudem durch das Kapital gebunden - MV ist wenig arbeitsintensiv. Die diversen Alternativen sind mit mehr Arbeit verbunden.
Feinststäube
Seit einiger Zeit ist in der EG ein Grenzwert in der Diskussion: der Feinststaub-Grenzwert. Es ist allgemein erkannt worden, dass es auf die feinen Stäube ankommt, lungengängig sind und viel höher schadstoffbelastet als grobe Stäube. In Ballungs-räumen, besonders in Innenstädten wird der EG-Wert in der Regel überschritten. Sobald in diesem Zusammenhang extrem hohe Werte in die Diskussion kommen, wird - folgerichtig - immer der Dieselrußfilter in die Diskussion gebracht.
Es gibt aber noch giftigere Feinstäube - MVA-Stäube. Bereits Ende der 70er Jahre gab es eine vergleichende Staubanalyse aus den USA. Ergebnis: MVA-Stäube sind im Wesentlichen Fein- oder Feinststäube und somit lungengängig und sie sind viel stärker schadstoffbelastet als Stäube andere thermischer Anlagen. Die Stäube aus der Müllverbrennung sind die giftigsten bekannten Feinststäube. Sie enthalten in hohen Konzentrationen toxische Schwermetalle und sogenannte Ultragifte wie Dioxine, Furane und PCB sowie anderen Chlororganika (z.B. HCB). Prof. Vogg, Kernforschungsanlage Karlsruhe, hat die These aufgestellt, die zurückgehaltenen Stäube aus den verschiedenen Stufen der Abgasreinigung seien toxischer als die radioaktiven Reststoffe aus den Kernkraftwerken.
MVAs sind Klimakiller
In den 80er Jahre wurde von der Ingenieurszunft immer herausgestellt, Müllverbren-nung sei „Energierecycling“. Damit wollte man die ökologische Konzepte, nämlich Recycling statt Müllverbrennung, aushebeln.
Müll besteht zu einem Drittel aus Wasser und zu einem Drittel aus nichtbrennbaren Stoffen, ein Gemisch, das kein vernünftiger Mensch in seinem Ofen verbrennen würde.
Das wirkt sich auf die energetischen Wirkungsgrade aus. Sie sind so schlecht, dass von Energiegewinnung kaum die Rede sein kann. Das liegt an den Eigenheiten des Brennstoffs und dem hohen Eigenverbrauch. Das beginnt bei den Baggern, die ständig im Müllbunker den Müll so mischen müssen, dass er gut aufgegeben werden kann. Es sind aber vor allen Dingen der Stromverbrauch der Ventilatoren, die dafür sorgen müssen, dass die Abgase durch die fünf- bis siebenstufige Rauchgaswäsche – nur damit kann die 17. BImSchV eingehalten werden – durchgesetzt werden kann. 25% des erzeugten Stromes wird von der MVA selbst verbraucht. Dem wollten die Kraftwerksplaner und –betreiber entgegenwirken, indem sie die MVAs gerne als Heizkraftwerke errichtet haben. Wenn man die Abwärme als Heizung nutzen möchte, sinkt aber die Stromerzeugung - Stichwort: Gegendruckturbine, Dampfnetz. Für Warmwasserleitungen – Nahwärme – sind diese Kraftwerke ohnehin zu groß: lange Rede kurzer Sinne, selbst in Kraft-Wärme-Kopplung erreicht der Energiewirkungs-grad nicht einmal den eines Kohlekraftwerkes. In Würzburg erreichte die MVA 22%, auf Anfrage erklärten die Stadtwerke, dass sich zu wenige Energieverbraucher an die Leitung hätten anschließen lassen – aber auch der Star unter den „Energierecyc-lings-Anlagen“, die MVA Bielefeld, erreicht nur 34%. Ein Kohlekraftwerk erreicht 36%. Echte Nahwärme erreicht bis zu 90%.
Der schlechte Energiewirkungsgrad der MVAs berechnet also zu der Behauptung, dass MVAs Klimakiller ersten Ranges sind. "Energierecycling" ist Propaganda.
MVAs erzeugen Sondermüll
Laut Angaben des BayLfU (Landesamt für Umweltschutz, Bayern) enthält der Müll 0,4% Sondermüll – Erkenntnisse aus Sortierstichproben. MVAs produzieren aber Sondermüll, nämlich die Reste aus der Rauchgasreinigung. Je nach Konstruktionsart der Rauchgasreinigung beträgt der prozentuale Anteil bezogen auf den ursprünglich eingesetzten Müll 3,5 – 10%.
Die abzulagernden Reste werden zwar kleiner, im Sinne, dass das Volumen sinkt, die Giftigkeit wird aber größer. Aus der Sicht der Ablagerung ist das Verfahren Müllverbrennung kontraproduktiv.
Zur Durchsetzung der Müllverbrennung wurden notorisch Entgiftungstechnologien für die Reste aus der Rauchgasreinigung in die Planungen hineingeschrieben – etwa Plasmaofen – und bei der Ausführung per Änderungsantrag wieder zurückgezogen. Zurzeit werden diese Reste in glasfaserverstärkten Plastiksäcken, stabilisiert mit Zementzugabe, untertage abgelagert.
Auch die Schlacken - 30% bezogen auf den Müllinput - sind keineswegs ein pflegeleichtes Deponiegut.
MVA und Gesundheitsgefahren
Für die Bewertung von Gesundheitsgefahren aus Verbrennungsanlagen gibt es zwei Eckpunkte, die zu beachten sind:
Das eine ist, dass MVAs genau solche Stoffe emittieren, für die die Belastungs-grenze der Allgemeinbevölkerung bereits in den 80er Jahren erreicht oder über-schritten waren. So formulierte es der Sachverständigenbeirat für Umweltfragen, der zur Unterrichtung der Bundesregierung etabliert wurde. Der SRU nannte Dioxine, Furane, PCB, Cadmium und Blei. Für diese Stoffe sollten also keine zusätzlichen Emissionen mehr statthaft sein. Allerdings wurde vom Länderausschuss Immissionsschutz (LAI) trotzdem statthafte Bagatell-Immissionen definiert: Zusatz-belastungen <1%.
Die Frage: Kann die 17. BImSchV eine Zusatzimmissionen < 1% garantieren. Die Antwort lautet nein.
Das ist der zweite Eckpunkt.
Für die Berechnung der Zusatzimmissionen hat der SRU in seinem Sondergutachten 1991 vorgeschrieben. In allen den Fällen - die Immission ist standortabhängig - von Neugenehmigungen in der ersten Hälfte der 90er Jahre ergab sich eine Zusatzim-mission >10% für Dioxine bei Ausschöpfung der 17. BImSchV.
Dass die Gerichte in den Verfahren, in denen gegen neue Genehmigungen von MVAs geklagt wurde, die Genehmigungen nicht kassiert haben, liegt zum einen da-ran, dass die Betreiber reklamiert haben, dass sie die Werte der 17. BImSchV nicht nur einhalten können, sondern auch um 90% unterschreiten. Das kann nun auch jeder Laie rechnen, mehr als 10% dividiert durch 10 ergibt etwas mehr als 1%. Für diese Zusatzimmission, die zwar die Bagatellgrenze noch nicht ganz unterschreitet, haben die Gerichte dann 5 oder 7 gerade sein lassen. Sie fühlten sich dazu berechtigt, weil in dieser Zeit die aus dieser Zusatzimmission abzuleitende Gesundheitsgefahr nur abstrakt im Raum stand. Die gesellschaftliche Debatte um Umweltkrankheiten hatte noch nicht begonnen.
In der heutigen Zeit weiß jeder, dass es Umweltkrankheiten gibt. Zumindest von Allergien hat jeder schon gehört. Die Verbindung zu den Feinststäuben wird allge-mein gesehen. Neue MVAs in neuen Genehmigungsverfahren werden sich mit diesem Komplex auseinandersetzen müssen. Dies setzt allerdings voraus, dass dafür Gegner auftreten, die sich auch soweit kundig machen, dass sie in Klageverfahren antreten können.
Die Rechtslage
All die Bürgerinitiativen, die über ein Jahrzehnt gegen die Müllverbrennungsanlagen angekämpft haben und mit großem finanziellem Aufwand gegen die Genehmigungen Klagen angestrengt haben, waren enttäuscht, dass alle Klagen abgewiesen wurden.
Dem ist aber entgegenzuhalten, ohne diese heftige Debatte und die akribische Ar-beit in den Klageschriftsätzen hätte es weder eine solche 17. BImSchV gegeben, die die Emissionen um den Faktor 100 gesenkt hat, noch wäre eine Abgasreinigungs-technik entwickelt worden, die diese Grenzwerte noch einmal um einen Faktor 10 un-terschreitet. Alles in allem hat sich der Aufwand doch gelohnt, nämlich eine Reduk-tion der Emissionen bei den toxischsten Komponenten um etwa einen Faktor 1000!
Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, dass die technischen Möglichkeiten durch die Gerichte in die Genehmigungen hineingeschrieben worden wären. In einem Verfahren waren wir nahe dran. Nur bei einer Genehmigung, nämlich einer Altholzverbrennung von der Firma Pfleiderer in Gütersloh, ist es gelungen, strengere "Vorsorgegrenzwerte" in der Genehmigung durchzusetzten: sie schreiben der Anlage eine Unterschreitung der 17. BImSchV um 80% vor.
Um derartiges zu erreichen, muss man sehr akribisch vortragen und jeden Rechenschritt genauestens begründen. Der Aufwand ist groß, aber notwendig.
Einige Schritte auf dem Weg zum Erfolg
Der skizzierte Weg begann zunächst mit einem drei Seiten Paper. Mir war aufgefal-len, dass es nicht angehen kann, dass man bei der Grundbelastung die Nahrungsket-te mit einbezieht und bei der Zusatzbelastung nicht. Dies wurde in einen Beweis-antrag an den VG München schriftsätzlich umgesetzt. Dann kam der erste Achtungs-erfolg: dem Beweisantrag wurde stattgegeben. Damals hielt ich das für wenig bemerkenswert. Später musste ich erfahren, dass es gar nicht so einfach ist, mit einem Beweisantrag durchzudringen, ganz besonders dann, wenn das Gericht die Sache schnell und lautlos erledigen möchte. Das weitere Schicksal dieses Antrags war, dass das Umweltbundesamt den Anforderungen an die Risikoanalyse und auch die rechnerische Größenordnung, nämlich eine Verschärfung des zu errechnenden Risikos um den Faktor 100, zugestimmt hat.
Ob dieser Vorgang in Sachen 17. BImSchV den Verordnungsgeber noch beeinflusst hat, ist wohl eher zu verneinen, aber er hat die Hoffnungen der Betreiber auf etwaige Sondergenehmigungen sicherlich endgültig destruiert.
Der Vorgang hat dazu geführt, dass der SRU in seinem Sondergutachten Abfallwirt-schaft eine allgemeine Rechenvorschrift erlassen hat. Sie beinhaltet die Akkumula-tion der Dioxine in der Nahrungskette. Ohne diese Rechenvorschrift hätte es keine Möglichkeit gegeben, gegen Genehmigungen, die unter Beachtung der 17. BImSchV erteilt wurden, überhaupt vorzugehen. Dass dies mit aller Macht dann auch in verschiedenen Verfahren erfolgte, hat die MVA-Betreiber gezwungen, technisch noch einmal kräftig nachzurüsten und nicht nur zu beweisen, dass man die neue Verordnung einhalten kann, sondern dass man darüber hinaus auch noch deutlich unter die erlaubten Emissionen gehen kann.
In der Retrospektive ist es für mich doch erstaunlich, wie leicht sich etwa 1000 Seiten gutachterlichen Bemühens hier auf dieser Website zusammenfassen lassen.
Downloads:
Zwei wirkungsvolle Schriften aus dem Eigenverlag:
MVA - der Emissionscocktail toxikologisch sensitiv bewertet - die dafür entwickelte toxikologische Sensitivitätsanalyse hat bewiesen, dass die kleinste Emission die größte Gefahr entfaltet.
Beispiel einer Risikoanalyse
Bewertung Dioxin in Arzt und Umwelt