Prägende Gutachten
“Es ist ... absurd, Millionen für zahllose Einzelstudien auszugeben,
aber ... nichts für die Untersuchung der Frage,
ob diese Einzelergebnisse irgendwie übergreifende Relevanz besitzen."
Theo Colburn. Die bedrohte Zukunft 1996
Gutachten stellen Zusammenhänge her, jene "übergreifende Relevanz".
Sie bewegen so die Welt: aus wissenschaftlichen Fakten wird neues Recht.
Wahrscheinlich wäre ich nie Gutachter geworden oder nicht dabei geblieben, wenn ich zu Beginn nicht die seltene Chance für solch prägende Gutachten gehabt hätte.
Diese werden geschrieben, wenn tatsächlich keine wissenschaftliche Klarheit herrscht, also eine offene Frage zu einem Problem, für das es noch keine Vorschriften gibt, existiert.
Eine Reihe von Gutachten zum Gesundheitsrisiko durch Müllverbrennung, Stichwort Dioxin, PCB, Feinstaub etc., Ausbreitung in der Umwelt und Akkumulation in der Biosphäre führte zu der Erkenntnis, dass die Nahrungskette mit einbezogen werden muss. Normalerweise machen soetwas etablierte Gutachter. In diesem Fall führt ein Beweisantrag zu einer Anfrage des Gerichts an das UBA und diese gaben mir prinzipiell recht.
Rechenmodelle und Stichproben in Umwelt zeigten, dass es möglich ist auch geringe Zusatzbelastungen zu bewerten und dass es auch notwendig ist, da die Belastungsgrenzen erreicht sind, bzw. schon damals erreicht waren.
Es war gewissermaßen eine Sternstunde: die chemische Analytik war soweit, die niedrigen Konzentrationen in der Umwelt nachzuweisen, so dass die Langzeit-Niedrigdosis-Belastung in der Umwelt bis zum Menschen verfolgt werden konnte. So konnte man die Illusion durchschauen, dass die sehr niedrige aktuelle Dosis, die sehr klein ist, nicht wirken könne. Sie macht dennoch krank, weil die Gesamtdosis der Langzeitbelastung schon so hoch ist. Offiziell wird dieses durch der Sachverständigenrat seit 1987 für Dioxin, PCB, Cd, Pb und Nitrat im Trinkwasser anerkannt. Seither gilt:
normal ≠ gesund
Die Umweltmedizin weiß es seit den 50er Jahren. Theron Randolph, der Begründer der Umweltmedizin, konnte schon 1962 anhand seiner Erfahrung mit Patienten vortragen, dass die Innenräume 8-fach giftiger sind als die Immissionen der Außenluft. Erst in der 80er Jahre konnte die chemische Analytik dies nachvollziehbar machen.
Die Dioxindiskussion hat sehr klar gezeigt, dass die Toxikologie mit ihren Eckdaten und Wirkschwellen und der duldbaren täglichen Aufnahme (ADI = Acceptable Daily Intake) das Risiko stets unterschätzt. Im Falle Dioxin war dies ein Faktor 100 !! Die Toxikologie hinkt immer hinterher und muss deshalb durch die Umweltmedizin ergänzt werden. Dies war meine Erkenntnis aus der Debatte zur Risikoabschätzung der Dioxinbelastung.
Die goldenen Zeiten einer offenen Diskussion der chemischen Umweltrisiken sind längst vorbei.
Geblieben ist, dass die Müllverbrennung gestoppt wurde. Ein entsprechender Grenzwert hat Aktivkohlefilter erzwungen. Die nachfolgenden Prozesse, in denen gezeigt werden konnte, dass dieser noch nicht sicher ist, haben technische Optimierungen erfordert, ohne die die Gerichte die Genehmigungen wohl kassiert hätten.
Aber die Grundsätzen der Bewertung wurden nicht Allgemeingut. Es war zunächst spürbar, dass in Gutachten immer wieder die gleichen Rechenfehler moniert werden mussten. So sind die Einbeziehung der Nahrungskette, Akkumulationseffekte u. dergl. anerkannte wissenschaftliche Tatsachen, aber bewertet wird ohne sie.
Offiziell wird seither zurückgerudert, denn jenes normal = ungesund hat weitreichende rechtliche Konsequenzen. Die werden den Opfern nicht zugestanden. Dafür geht man so weit, dass der anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis in vielen Gutachten missachtet oder gar verfälscht wird.
Damit sind wir auf dem Gebiet der Gutachten.