Anerkennung chronischer Umweltkrankheiten
Die rechtliche Seite
Seit mehr als einem Jahrzehnt, kämpfen Patientenorganisationen und Umweltmediziner verzweifelt um die Anerkennung der Umweltkrankheiten. Die Pointe ist, dass diese seit den 80er Jahren wissenschaftlich anerkannt sind und zwar auf WHO-Ebene, die durch keine Autorität zu toppen ist. Das markiert einen Abschluss des wissenschaftlichen Diskurses. Der Jurist nennt das Ergebnis den "allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis" und dieser wirkt sich unmittelbar auf die Rechtsprechung aus. Aber das weiß hier keiner.
Er wurde in Deutschland (und in Europa, UK und Skandinavien ausgenommen) verschlafen. Alle häufig auftretenden Umweltkrankheiten bzw. chronischen Vergiftungen, sind bekannt, definiert, klassifiziert und in ihrer Ätiologie oft besser verstanden, als andere schwere chronische Krankheiten (z.B. Multiple Sklerose, Parkinson), die keiner in Zweifel zieht.
Alle, die - zu recht - gegen den "Ökochonder" und die damit einhergehende Psychiatri-sierung protestiert haben und noch heute protestieren, wissen nicht, dass der "Stand der Wissenschaft", definiert als "allgemein anerkannter Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis", kein wissenschaftlicher, sondern ein Rechtsbegriff ist. "Stand der Wissenschaft" - und damit mit rechtlicher Wirksamkeit versehen - ist, was auf gesellschaftlicher Ebene festgelegt wurde. Soetwas macht immer ein Rat. Je höher in der Hierarchie angesiedelt ist, je höher also die Autorität, desto sicherer die "Erkenntnis". Die WHO ist nicht zu toppen. Alle Umweltkrankheiten, die in den Verfahren eine Rolle spielen, sind auf WHO-Ebene definiert, d. h. es existieren Diagnosekriterien und sie sind in den ICD-Thesaurus der WHO aufgenommen. Das bedeutet, dass es anerkannte Diagnosen sind und sie den Status "Stand der Wissenschaft" haben.
Übersicht anerkannter Umweltkrankheiten zur Vorlage bei Ärzten und Anwälten.
Zwei haben eine Klassifikation als "Verletzung" (MCS & SBS), zwei als Erkrankung des Nervensystems (CFS % TE), keine hat eine F-Klassifikationen (Psychische Erkrankungen). Die Psychothese steht demzufolge im Widerspruch zum Stand der Wissenschaft. Sie wurde nachgereicht. Die Psychothese stammt aus dem Jahr 1995, ist also wesentlich jünger als die Definitionen der Umwelterkrankungen. In der berüchtigten Erlanger Studie wurde Ursache und Wirkung vertauscht: man habe keinen Umweltbezug gefunden, wohl aber signifikante psychische Auffälligkeiten. Seit der Kopenhagener Konferenz der WHO zur Enzephalopathie 1985 ist gesichert, dass Neurotoxika psychische Funktionsstörung bewirken und dass diese Frühsymptome sind. Die Erlanger Studie hat die wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis auf den Kopf gestellt. Und in der Tat hat bisher - d. h. über fast 2 Dekaden - keiner der Autoren es geschafft auch nur eine Kasuistik zu präsentieren, die die These wenigsten diskutabel hätte machen können.
Die Umweltdebatte in Deutschland hat den Stand der Wissenschaft verschlafen und ist bis heute nicht aufgewacht. Deshalb war die Psychothese überhaupt möglich. Man hat statt einer ernsthaften Debatte über die umweltbedingte steigende Morbidität eine Phantomdebatte über die "Psychothese" geführt, so als sei sie eine wissenschaftlich diskutable Hypothese. Die Architekten der Erlanger Studie haben es geschafft, reinen Unfug an die Stelle zu setzen, wo der Stand der Wissenschaft hingehört, d. h. sie war dazu in Szene gesetzt, um letzeren zu zerstören, um Gesetz und Verfassung mit solchen Desinformationen zu unterlaufen.
Das ist das Primäre Ziel der Desinformation zum Stand der Wissenschaft. Die Psychodebatte ist die Begleitmusik und die wirksame Einschüchterung für Antragsteller und Kläger. Die Psychodebatte hätte nie stattfinden dürfen, wenn es nach wissenschaftlichen Kriterien gegangen wäre und nach Recht und Gesetz auch nicht. Genau darum geht es: um die Rechte bzw. deren Vorenthaltung. Da nutzt es nichts, mit Ausdrucken, den Professor überzeugen zu wollen.
Auf deutsch gibt es für ein solches Verfahren der Desinformation kein Wort. Die Engländer nennen es Bullshit. Prof. Frankfurt nennt Bullshit als den schlimmeren Feind der Wahrheit als die Lüge. Denn es schert sich gar nicht mehr um das, was die Wissenschaft sagt.
Wenn der Stand der Wissenschaft erfolgreich durch Bullshit ersetzt ist, ist jede Ungeheuerlichkeit und Unmenschlichkeit möglich. Alle Umweltkranken müssten ihre Rechte bekommen, d. h. Rente oder Schadensersatz. Stattdessen werden sie psychiatrisiert oder als Simulanten abgewiesen.
Die menschliche Seite
1991 hat der US-Präsident ein Gesetz unterschrieben, dass Behinderte schützt. So etwas gibt es in Europa erst seit 2011, soweit in den Ländern die UN-Konvention zum Schutz von Behinderten ratifiziert wurde. Im amerikanischen Gesetz ist etwa MCS ausdrücklich als Behinderung genannt. In Europa nicht.
In den USA ist eine chronische Vergiftung eine Schwerbehinderung. In den USA gibt es gewerkschaftliche Programme, die den Umgang mit MCSlern einüben. In Deutschland gibt es üble Nachrede: Ökochonder, Rentenneurotiker (unsinnig, da es für eine Frühverrentung keinen schwierigeren Weg gibt), Simulant (dto.). Die Betroffenen sind geistig und körperlich gehandikapt, werden obendrein seelisch ruiniert und bluten, da rechtlos, finanziell aus. Die Selbstmordrate steigt. Manche sind so hochsensitiv, dass sie "normalen" Wohnraum nicht vertragen. Es gibt kaum Wohnraum für Menschen mit schwerem MCS.
Ein historischer Vergleich ist schwer zu finden: das Siechenhaus?, Die Ausgrenzung wie bei Aussätzigen?, Am besten trifft es noch das Verkümmernlassen; denn alle schauen zu und wollen gern glauben, das das alles sehr rätselhaft sei. Der gesunde Menschenver-stand hat zur Zeit kaum eine Chance.
Bereits 1987 wurde auf einem Workshop der amerikanischen Regierung (Research Council) allein für MCS eine Prävalenz von 15% geschätzt. Studien haben das im Wesentlichen bestätigt: Prävalenz etwa 12%, davon 4% schwere Fälle. Jeder begegnet diesen Menschen, keiner nimmt sie ernst - die Propaganda hat gewirkt.
Politik
Die Politiker weigern sich. "Sie könne sich nicht um jede Krankheit einzeln kümmern", so eine Parlamentarierin. Beliebt ist auch, die Sache als Verschwörungstheorie abzuwimmeln. Da ist keine Verschwörung. Das wäre dann ja einfach. Hier ist etwas aus dem Ruder gelaufen und das Problem wurde nicht erkannt. Der Rechtsstaat hat die Gewalten geteilt, aber in vielen wichtigen Fragen, entscheidet der Gutachter. Wer Gutachter wird entscheiden die Versicherungen.
Die Nachwuchsfindung der Gutachter ist leicht Unwille dazuzulernen genügt. Wer sich solcherart profiliert und als verlässlich zeigt, kann sogar Professor werden. Die Patienten haben keine Lobby, deshalb hat auf diesem Gebiet der Rechtsstaat Schlagseite. Die Politik ist hier hilflos, da uniformiert. Sie haben noch nicht verstanden, wenn sie über Gerechtigkeit reden, dass hier eine Quelle dafür ist. Und sie ahnen noch nicht, wie groß das Wählerpotential ist.
Im Fall einer Schule in NRW mit über 30 kranken Kindern haben alle Parteien gleich reagiert, mit wortreicher Nichtbefassung, auch das grüne Höhnministerium. Jeder konnte es nachlesen, erst bei einer Raumtemperatur von 4°C waren die Raumluftwerte unter der chronischen Wirkschwelle. Das fanden alle in Ordnung.
Die Umweltschützer und Aktivisten in Sachen "Öko" haben das mitzuverantworten. Ihre Attitüde ist bis heute das Warnen. Mehr gilt als wenig akzeptabel: es ist immer 5 vor zwölf. Doch die Uhren sind in letzten 30 Jahren weitergelaufen. "Wutbürger" ist geil, vergiftet zu sein, ist es nicht.
Journaille
Vor etwa zwei Jahrzehnten musste ich mir anhören, dass Vergiftungen kein Thema seien, da ja nur ein Gutachterstreit. Berichtet wird erst, wenn dieser entschieden ist. Also hat man schon Anfang der 90er nichts darüber erfahren, was die Wissenschaft das Jahrzehnt zuvor erkannt hatte, nämlich dass vergiftet zu werden nicht mehr die Ausnahme ist.
Die Journalisten interessiert das Thema nicht, höchstens als Randthema oder als Einzelschicksal, dem natürlich auch nicht geholfen wird - es bleibt bei der Kuriosität. Jedes andere Ökothema bekommt mehr Sendezeit, wie etwa die Remäandrisierung eines Bachlaufes - da wird jedes Detail erläutert. Aber kranke Schüler oder gar kranke Lehrer? Ich sollte das Krankheitsbild in 20 sec (in Worten: Sekunden, nicht Minuten) erläutern. Keine TV-Sendung der letzten 20 Jahre hat das Thema erfasst (Note: 6). Da kommen dann so schwache Ausreden wie, man könne das schwer in Bilder umsetzen.
All' die TV-Teams, die schon bei mir waren, gehen wieder fort mit voller Kassette, daraus werden dann 20 Sekunden gesendet oder auch 2 * 20 sec. Ich verstehe oft selbst nicht, was der gesendete Torso eigentlich noch aussagt. Dann bleibt zurück das Wort "Rätselhaft". Diese Falschmeldung genügt, dass die Betroffenen ihre Rechte nicht erhalten ("rätselhaft" ist Restrisiko; das genießt keinen rechtlichen Schutz). Dummstellen richtet also enormen Schaden an, leider bei den Falschen.
Angeblich hören die Zuschauer nicht länger als 20 sec zu - "So geht Fernsehen", erklärte mir einer. Nein, so geht Schwachsinn. Wer nicht zuhört sind die TV-Leute. Wer nicht richtig informiert wird, ist die Öffentlichkeit.
Blogserie - Stand der Wissenschaft
In der vergangenen Zeit sind die Rufe, doch den Stand der Wissenschaft rechtlich zu nutzen, ungehört verhallt. Nicht einmal das Versprechen auf "Erfolg" konnte das Interesse wecken. Das führte u. a. dazu, dass ich mich habe breitschlagen lassen bei CSN zu bloggen.
http://www.csn-deutschland.de/blog/2009/11/09/ist-mcs-lebensgefahrlich/#comments
http://www.csn-deutschland.de/blog/2009/09/17/umweltmedizin-der-erlanger-fake/#comments
MCS - Strategiepapier als Beispiel