Fälschungen
Nachweisbare Fälschungen sind selten.
In Zusammenhang mit der Diskussion um das sog. Gutachter(un)wesen, wird immer wieder die Frage nach Fälschungen oder andere Arten der Unwahrheit gefragt.
Die Hauptmethode ist die der nichtnachprüfbaren Behauptung (s. Umweltmedizin/Öko-chonder/Desinformation) und die Durchsetzung derselben über gesellschaftliche Mechanismen.
Zur Erläuterung ein Beispiel:
„Ein alter Toxikologentrick übrigens. Man verzichtet auf die risikoreichere Manipulation der Messwerte, man sorgt stattdessen durch eine entsprechende Zusammenstellung des Kontrollkollektivs für eine handfeste Hintergrundbelastung. Das ist dann fast schon die ganze Miete: Was alle im Blut haben, kann nicht schädlich sein.“ (Erich Schöndorf, Von Menschen und Ratten, über das Scheitern der Justiz im Holzschutzmittelskandal, S. 52)
Einzig bei der Auseinandersetzung zwischen Prof. Wassermann und Prof. Triebig spielten gefälschte Labordaten eine Rolle. Wassermann konnte Triebig dieses und Manipulationen an den zu untersuchenden Kollektiven nachweisen, so dass Triebig mit seiner Unterlassungsklage gescheitert ist. Man darf also Triebig mit Hinweis auf das Buch von Wassermann „Die gekaufte Wissenschaft“ einen Fälscher und Dilettanten nennen. Interessanterweise ändert dies nichts daran, dass Triebig Jahre später an der zweiten Fälschung der Merkblattes für die BK 1317 (s.u.) von März 2005 mitgewirkt hat. Eine Fälschung besonderer Art ist es, eine Messung der Konzentrationen von Halogenorganika in einer chemischen Reinigung, die nach der technischen Sanierung stattgefunden hat, dafür herzunehmen, um zu begründen, dass die Betreiber der chemischen Reinigung durch die unbekannten Konzentrationen vor der technischen Sanierung nicht krank geworden sein können - offensichtlicher Prozessbetrug. Die Tatsache, dass das Gericht den Gutachter in Schutz genommen hat – „….wo er doch schon so oft für uns als Gutachter tätig war“ – bei manchen wird man offensichtlich durch Ancienität integer -, zeigt Befangenheit. Dieses In Schutz nehmen, nach dem Motto „Das können wir uns nicht vorstellen“ findet man sehr weit verbreitet, ganz besonders auch bei Journalisten. Das ist der eigentliche Schutz, der es so schwer macht, diesem Treiben ein Ende zu setzen. In einem Verfahren aber sollte man auch B sagen, wenn man A gesagt hat. Die Klägerseite hatte den Prozessbetrug moniert und hätte dann auch konsequent einen Befangenheitsantrag stellen müssen. Erich Schöndorf ist im Grundsatz recht zu geben, es sind ganz bestimmte Gutachter, deren Namen immer wieder auftauchen, die auch dafür sorgen, dass die Grundlagen der Bewertung so verändert werden, dass letztlich auch Schwerkranke, die genau die richtigen Symptome aufweisen, nicht als Vergiftete, sondern als rätselhafte Erscheinungen dargestellt werden können.
Der Erfolg von Wassermann und der Erfolg in Sachen BK 1317 zeigt aber, dass man diese Dinge aufdecken kann und mit der nötigen Akribie und Konsequenz auch dagegen vorgehen kann.
Allerdings hat das die Debatte auch innerhalb der Patientenorganisationen und der Umweltmediziner noch nicht erreicht. Die Chance, die Situation zu verändern, wird nicht genutzt.
Fälschung des Standes der Wissenschaft
1996 hat sich der Sachverständigenrat im Arbeitsministerium mit dem Stand der Wissenschaft in Sachen VOC und Lösemittel befasst und die Einrichtung der neuen Berufskrankheit mit der Berufskrankheitennummer (BK) 1317empfohlen: „Toxische Enzephalopathie (TE) und Toxische Polyneuropathie (TPNP) durch Lösungsmittel“.
Im amtlichen Merkblatt zur ärztlichen Verdachtsanzeige von 1997 wurden entgegen des Textes der "Empfehlungen" frei erfundene Diagnosekriterien und ein ebenfalls frei erfun-dener Krankheitsverlauf als "typisch" für die Krankheit festgeschrieben. So wurde die Möglichkeit korrekter Diagnosen unterbunden. So behauptet, die Erkrankung sei reversi-bel, Genesung nach Jahren sei „typisch“. In der Praxis kam es dann tatsächlich vor, dass ein Opfer zunächst anerkannt wurde, dann aber die Rente wieder aberkannt bekam, weil er nicht gesund wurde.
Die Tatsache, dass sich der Sachverständigenbeirat in "Empfehlung" und "Merkblatt" selbst widersprochen hat, war ein wichtiger politischer Ansatzpunkt, eine Korrektur durchzusetzen. Nur der Widerspruch auf Regierungsebene, fand Interesse bei den Journalisten. Zum Zweiten war eine Beeinflussung durch den Hauptverband der gewerb-lichen Berufsgenossenschaften (HVBG) nachweisbar. Zum Dritten basierte diese auf einer nachweisbaren Lüge:
Im BK-Report 3/99 wird versucht, zu belegen, dass Progredienz (Verschlimmerung) nach Expositionsende nicht vorkomme - den Ablehungsbescheiden wurde dann immer erklärt, dies sei toxikologisch unplausibel. Die "Belege" aber – epidemiologische Studien mit Verlaufkontrolle - enthielten das genaue Gegenteil: 25% der Fälle verlaufen progredient. (Darstellung s. Kasten in umg 1/04)
Schließlich musste noch etwas Prominenz dazu - diese Rolle spielte die öffentliche Erklärung von Norbert Blüm.
Die Korrektur erfolgte im Merkblatt von März 2005. Nun ist die Diagnostik richtig, und die Patienten können damit Ihre Ärzte informieren oder überzeugen und es ist möglich die nach wie vor stets vorgebrachte BG-Behauptung, die Erkrankung stimme nicht mit der BK1317 überein abzuweisen.
Nun ist aber die Toxikologie falsch. Der Leser liest richtig: es gibt neue Unwahrheiten. Waren in den Empfehlungen des Sachverständigenbeirats noch 33 Stoffe als neurotoxisch ausgewiesen, so sind es nun nur noch 14. Dafür gibt es weltweit nur eine Quelle: nur das „Handbuch für Arbeitsmediziner, ein Lehrbuch für Studenten, ein Nachschlagewerk für Ärzte aller Fachrichtungen“ von Triebig et al. enthält diese 14-Stoffe-Liste. Letztlich geht wieder darum aus irreversiblen Schäden, reversible zu machen, nun über den Umweg, den Substanzen die Neurotoxizität überhaupt abzusprechen. In Sachen toxischer Nerven-schäden, wird demnach auf allen Ebenen falsch informiert: falsch ausgebildet, falsche Handbücher und falsche Toxikologie auch das neue Merkblatt. Ein Blick über den Zaun: Die Schweizer Arbeitsmedizin etwa nennt VOC generell neurotoxisch. Dies ist Stand der Wissenschaft seit Mitte der 80er Jahre.
Erneut muss sich der Sachverständigenbeirat fragen lassen, wann er Wissenschaft inkorrekt widergegeben hat, 1996 (33 Stoffe) oder 2005.
In der Sache ist festzuhalten: VOC sind neurotoxisch und diese bewirken irreversible Schäden. Andersartige Behauptungen sind die reine Unwahrheit. Der Beweis ist - einmal abgesehen von der restliche Weltliteratur - vollinhaltlich im Text der Empfehlungen des Sachverständigenbeirats von 1996 zu entnehmen.
Da die "Empfehlungen" zur Einrichtung einer neuen Berufkrankheit ein amtliches Dokument hohen Ranges ist, ist es richtig in bezug auf die beiden Merkblätter von "Fälschungen" zu sprechen, Die eigentliche Fälschung aber ist, die Fälschung des Standes der Wissenschaft. Die ist eine Größe, die im Umwelt- und Sozialrecht die alles entscheidende Rolle spielt. Es kommt denen, die solche Fälschungen in Szene setzen zu gute, dass dies weder definiert noch strafbar ist.
Es ist kein Betrug im rechtlichen Sinne. Zwar haben die betrogenen den Schaden und die Fälscher der Vorteil der Förderung - Aufträge, Kommissionen, Titel - , aber eine unmittelbare Vorteilnahme findet nicht statt.
Das empört viele - aber die Empörung verpufft hilflos und stabilisiert so das Geschen noch.
Das die systematische Fälschung des Standes der Wissenschaft die Gesellschaft jährlich Milliarden € kostet und Millionen ruiniert ist im Bewusstsein noch nicht angekommen.
Sicherlich wird in nicht allzu ferner Zukunft ein neuer Straftatbestand definiert werden müssen. So wie das Fälschen von Schecks, Urkunden oder Kunstwerken unter Strafe steht, so wird auch die Fälschung des Standes der Wissenschaft in irgendeiner Form Straftatbestand werden müssen. Denn es kann nicht angehen, dass eine Gesellschaft, die in immer stärkerem Maße von der Nutzung ihres wissenschaftlichen Wissens abhängig ist, von einer Handvoll Professoren, die fachlich keine großen Leuchten, aber dafür politisch ausgesprochen zuverlässig sind, bei einem so fundamentalen Sachverhalt wie die Gesundheit an der Nase herumgeführt werden. Um es dahin kommen zu lassen, muss aber das Geschehen der Desinformation genau verstanden werden.
Dazu ist an dieser Stelle noch etwas hinzuzufügen. Hauptbestandteil der Desinformation sind keine Fälschungen. Die treten nur auf, wenn die Desinformation nicht hundertprozentig funktioniert hat, es sind gewissermaßen Notmaßnahmen. Hauptbestandteil der Desinformation sind Behauptungen, vorgetragen in der Form der wissenschaftlichen These, sehr apodiktisch und mit viel Anmaßung und Arroganz, die frei erfunden sind. Etwa das Typische einer toxischen Enzephalopathie sei, dass sie nach einem bestimmten Zeitraum vollständig ausheile, ist ein solches Beispiel. Derartige Behauptungen werden immer erhoben, ganz besonders dann, wenn eine wissenschaftliche Überprüfung des Sachverhaltes noch gar nicht stattgefunden hat. Dann wissen bestimmte Leute schon, was generell gilt. Kommt dann bei der ersten Überprüfung das Gegenteil heraus, so wird dann die Studie angezweifelt, gerät man in Gefahr, sich lächerlich zu machen, wird die alte These durch eine neue These ersetzt, etwa so: Zunächst wird bestritten , dass die Stoffe überhaupt neurotoxisch seien; dann gesteht man es bei einigen, aber nur bei einigen Stoffen zu, besonders bei solchen Stoffen, die ohnehin nicht mehr im Gebrauch sind; dann wird bestritten, dass die neurotoxischen Wirkungen irreversibel sind….usw. usf.
Im Falle der BK 1317 war nun wirklich alles, sowohl im Tierversuch, als auch in der humantoxikologischen Epidemiologie untersucht und die Ergebnisse – das wissenschaftliche Bild – waren völlig eindeutig. Da blieb eben nur noch der Weg der Fälschung übrig.
Vertiefungen zum Problem der Desinformation durch frei erfundene Thesen siehe unter Umweltmedizin/Ökochonder/Desinformation.
Downloads:
Neues Merkblatt und rechtliche Chancen
Manuskript: mehr zu BK 1317, den Fälschungen, Durchsetzung des Neuen Merkblatts, rechtlche Konsequenzen
Prozessstrategien.